MILSER GESCHICHTE(N)
bearbeitet und erzählt von Mag. Fritz Tiefenthaler
Mils und der Vulkanausbruch
Im Gegensatz zu manch oft vertretener Meinung ist der Patscherkofel kein erloschener Vulkan und auch die Bimssteine des Bergsturzes von Köfels im Ötztal sind nicht vulkanischen Ursprungs. Trotzdem hatten Vulkanausbrüche mit ihren manchmal auch schwerwiegenden Randerscheinungen gravierende Auswirkungen auf die Menschen in unserer Heimat.
Pfarrer Dr. Johannes Popp beschreibt in seinen Aufzeichnungen die seltsamen Wetterkapriolen im Sommer 1783. Im Unterinntaler Boten, der seine Aufzeichnungen fast 130 Jahre später einer breiten Öffentlichkeit zugänglich machte, lesen wir von einem unheimlichen, trockenen und schwefeligen Nebel, der ab dem 22. Juni 1783 über Wochen die Sonne verfinsterte und so dicht war, dass die Sicht auf Hall, Volders und die Hänge des Glungezers, aber auch des Zunterkopfs und des Bettelwurfs nicht mehr möglich war.
Pfarrer Popp schreibt, dass dieser Nebel, von den Leuten als Erdausdünstungen gedeutet, 14 Tage lang liegen blieb, dann für 2 Tage verschwand und am 8. Juli wieder erschien. Inzwischen hatte er aus Nachrichten und Mitteilungen erfahren, dass der Nebel, begleitet von heftigen Gewittern mit furchtbaren Blitzeinschlägen, auch in Frankreich, Italien und Deutschland aufgetreten war. Er berichtet auch, dass nach den Gewittern die Luft für einen Tag wieder rein und die Sicht wieder klar war. Am folgenden Tag hatte sich der Schwefeldampf bereits wieder über das Land verbreitet.
Der hoch gelehrte Priester gibt in seinen Aufzeichnungen auch die unterschiedlichsten Erklärungen der Wissenschaftler seiner Zeit wieder. Angenommen wurde einerseits, dass es sich um Erdaushauchungen nach einem großen Erdbeben in Kalabrien handeln könnte oder andererseits, dass die Ursache auf eine Inversionslage (warme Luft liegt über kälterer Luft und sperrt sie im Tal ein) zurückzuführen sein könnte, bei der die Erddämpfe nicht in die höheren Schichten der Atmosphäre aufsteigen.
Am 21. Juli schließlich folgte ein starkes Gewitter mit großen Niederschlagsmengen, das die Luft für eine Woche reinigte. Der folgende Winter war besonders streng mit tiefem Schnee und großer Kälte. Aus ganz Europa wurden große Eisstöße mit furchtbaren Verwüstungen und Überschwemmungen gemeldet. Allein in der Stadt Köln fielen über 200 Häuser und die halbe Stadtmauer ein. Eisstöße entstehen, wenn nach einer längeren Kälteperiode eine rasche Erwärmung folgt und die Eisdecke eines Flusses in Platten zerbricht, die entweder an Hindernissen (Brücken) oder von der flussabwärts noch bestehenden Eisdecke gestaut werden und dabei Überschwemmungen und verheerende Flutwellen bilden.
Die Bevölkerung sah diese Naturereignisse als Vorboten für kommende Plagen und Kriege. Damit verstärkte sich die gerade in dieser Zeit steigende Unzufriedenheit mit den Regierenden in den betroffenen Ländern.
Ursache für das „damals unbekannte“ Naturphänomen war der Vulkanausbruch in der 25 km langen Lakispalte in Island, wo seit 8. Juni 1783 acht Monate lang aus mehr als 130 Kratern über 12,3 Mrd. m³ Material ausgeworfen und auf über 565 km² verteilt wurde. Die mit austretenden Gase führten in Island zu schweren Schäden an der Vegetation, zu Viehsterben und zu Missernten mit einer nachfolgenden Hungersnot, der ein Fünftel der Inselbevölkerung (ca. 9400 Personen) zum Opfer fiel. Die Gaswolke legte sich als trockener, schwefeliger Nebel auch über Europa (25 000 Tote in Großbritannien und Irland) und führte zu einer Absenkung der Jahresmitteltemperatur um mindestens 1 Grad. Die Folge waren auch in Europa katastrophale Missernten. In einigen historischen Untersuchungen werden diese Naturkatastrophen und ihre Folgen direkt mit der wenige Jahre später beginnenden französischen Revolution in Verbindung gebracht.
1816 gilt in vielen Teilen Europas als das „Jahr ohne Sommer“ als Folge des größten Vulkanausbruchs der letzten 10 000 Jahre. Vom 10. April bis zum 15. April 1815 schleuderte der Tambora auf Sumbawa auf Indonesien so viel Asche in die Luft, dass auch große Teile Europas von den Auswirkungen der starken Eintrübung der Atmosphäre noch Jahre nach der Katastrophe betroffen waren. Dies wirkte sich besonders negativ auch auf die Bevölkerung in unserem Raum aus, die bereits durch die Folgen der vorhergegangenen Kriege, aber auch durch einige nasskalte Sommer (1813) und damit geringere Ernteerträge schwere Einbußen hatten erleiden müssen.
Der Sommer 1816 war in Mils trotz der nasskalten Witterung nicht „der“ Katastrophensommer. Möglicherweise war bei dem vielen Niederschlag der durchlässige Milser Boden ein Vorteil, wenn auch die Erträge bei den verschiedensten Produkten unter dem Durchschnitt lagen und es kaum möglich war, das Saatgut über den Winter zu bringen und für das folgende Jahr bereitzustellen.
Quelle: Quelle: Dorfblatt Mils 01–2009, PDF-Download