MILSER GESCHICHTE(N)
bearbeitet und erzählt von Mag. Fritz Tiefenthaler
Der Schwemmkegeldes Weißenbaches
Ein Blick vom Bettelwurf oder auch von der gegenüberliegenden Talseite auf unser Dorf zeigt den sich von der Mündung des Halltals weit in das Inntal ausbreitenden Schwemmkegel, der durch den fast geradlinig nach Süden verlaufenden Graben des Weißenbachs in einen größeren westlichen und einen etwas kleineren östlichen Bereich geteilt wird. Wer genauer hinsieht, wird auch auf der Milser Seite noch das eine oder andere frühere Bett des weit ausufernden Gewässers entdecken können.
Der Schwemmfächer des Weißenbachs ist mit 8 km² der größte im Inntal und dürfte, wie die alten vordeutschen Namen Absam und Mils beweisen, schon sehr früh besiedelt worden sein. Während aus dem westlichen Teil aus Seetonablagerungen aufgebaute und von einer Grundmoräne überzogene Hügel (z. B. Melans) als Reste einer früheren Terrasse herausragen, ist der östliche Teil eine an den steilen Abfall der Gnadenwaldterrasse angelehnte, leicht nach Süden hin geneigte ebene Fläche.
Der Geologe R. v. Klebelsberg (1947 bzw. 1953) und meine Lehrer, die Geographen F. Fliri (1975 bzw.1977) und G. Patzelt (1987, 1990 und 2008) haben Arbeiten über den Aufbau und die Entstehungsgeschichte des Schwemmkegels veröffentlicht und damit wesentlich zur Erforschung der landschaftsgestaltenden Elemente in den letzten Jahrtausenden beigetragen. Der dabei erfasste Zeitraum reicht zurück bis vor den Beginn der letzten eiszeitlichen Vergletscherung unseres Raumes ca. 35000 Jahre vor heute. Die während der Arbeiten zur Milser Grundzusammenlegung angelegte Schottergrube am Kreuzbichl (ca. 1975) und die Rückversetzung der Bahnböschung am Remmlrain im Zuge der Errichtung der Eisenbahnumfahrung Innsbruck (1990) brachten völlig neue Erkenntnisse in der Datierung der zeitlichen Abfolge der einzelnen Aufschüttungsphasen. Diese Erosionsböschung wurde schon beim Bau der Westbahn Mitte des 19. Jahrhunderts im Bereich Remmlrain-Mittergatter-Kreuzbichl angeschnitten, ist aber östlich der neuen Auffahrt am Kreuzbichl bis hin zur Steinbrücke in ihrer ursprünglichen Form als markante, vom Inn angeschnittene Steilstufe erhalten. Sie entstand, als sich der Inn, der vom Schwemmfächer des Weißenbachs zu einem See von Heiligkreuz bis Innsbruck aufgestaut worden war, wieder in die Ablagerungen eingrub und dabei den alten Talboden im Bereich der Milser Au freilegte. Der Rest des ehemaligen Innarms, der entlang dieser Kante bis zur Steinbrücke gereicht haben muss, war noch in meiner Jugend bei Hochwasser gut erkennbar.
Die in der Schottergrube und beim Bahnbau entnommenen Proben und aufgenommenen Profile zeigen, dass dieser Bereich des Milser Teils des Schwemmkegels vor allem im Zeitraum von ca. 6000 Jahren v. Chr. und 5700 v. Chr. abgelagert und aufgeschüttet wurde. Laut Patzelt kann auf Grund von Vergleichsmöglichkeiten davon ausgegangen werden, dass es sich dabei um eine Zeit besonderer Muraktivitäten im ganzen Alpenraum als Folge einer großräumigen Klimaentwicklung gehandelt hat. Diese Aufschüttungen erfolgten nicht über den ganzen Bereich gleichmäßig, sondern je nach der Entwicklung und Verlegung des Bachbettes durchaus unterschiedlich. Zwischen den einzelnen Aufschüttungen und weiträumigen Vermurungen, in denen riesige Mengen an Murmaterial aus dem Halltal oder vom Rand der Gnadenwaldterrasse umgelagert wurden, konnte sich auf der Kegeloberfläche eine Vegetationsdecke entwickeln. Waldbrände führten zur Ablagerung von Brandhorizoten, die später von Murmaterial überlagert wurden. Gerade diese Brandreste haben zur Datierung der einzelnen Murereignisse (Radiokohlenstoffmethode) wesentlich beigetragen.
Material aus der Gnadenwaldterrasse spielt aber auch in den so genannten „Bergäckern“ auf dem Weg nach Baumkirchen eine besondere Rolle. Toniges Material, das aus Bändertonschichten und Sandschichten (vgl.: Grube oberhalb des Milser Sportplatzes, Milser Quellhorizonte in der Neiss) ausfloss, trägt zur bedeutend höheren Fruchtbarkeit der Bergäcker bei. Diese Bändertone, die im Bereich der Baumkirchner Tongrube auch wirtschaftlich genutzt wurden (Ziegelwerk Fritzens), lagerten sich in Seen vor der letzten Vereisung ab. Der heutige Verlauf des Weißenbachs entstand, als sich dieser mit dem Nachlassen der Aufschüttungsintensität und der Eintiefung des Inn (nach Patzelt ca. 5500 vor Chr. bis 1000 nach Chr.) auf das Niveau der immer tiefer liegenden Mündung hin eingrub. Dabei ist es durchaus (zum Beispiel im 13. Jahrhundert in Hall) immer wieder zu Aufschüttungen in Teilbereichen gekommen.
Die Funktion des Weißenbachgrabens als „Steinbruch“ und Schottergrube für den Bau der Stadt Hall mit ihrer mächtigen Stadtmauer mag zur Verbreiterung des Bachbetts beigetragen haben, die Sohle des Bachbetts hängt aber von der Meereshöhe der Mündung in den Inn ab. Für die zukünftigen Milser bedeutete der Schwemmkegel mit seinem nun stark eingetieften Bach einen sicheren Siedlungsplatz. Die starke Durchlässigkeit des Murmaterials und der hohe Anteil auch an grobkörnigen und steinigen Bestandteilen war vor allem in trockenen Jahren eine Herausforderung für die Bearbeitung und Nutzung als landwirtschaftliche Flächen. Einmahdige (d. h. nur einmal im Jahr gemähte) Wiesen und die viele Jahrhunderte nur als Weide genutzte Milser Heide sind gute Hinweise für die schwierige Bearbeitung der Böden … „Das wird aber eine andere Geschichte!“ Literatur: G. Patzelt, Der Schwemmkegel von Hall. In: Forum Hall in Tirol: Neues zur Geschichte der Stadt, Bd. 2, Hrsg.: Alexander Zanesco u. Romedio Schmitz-Esser, Verlag Ablinger-Garber GmbH, Hall in Tirol, 2008.
Quelle: Milser Dorfblatt 14/2008, PDF-Download