MILSER GESCHICHTE(N)
bearbeitet und erzählt von Mag. Fritz Tiefenthaler
Der Schulweg
Jetzt sind sie also wieder unterwegs, unsere Volksschüler, die teils trödelnd, alles Interessante unbedingt anschauen müssend, teils mit auf dem Rücken hüpfenden Schultaschen eilig laufend Richtung Volksschule ziehen. 50 Jahre ist es nun her, seit wir Unterdörfler Volksschüler in der gleichen Art und Weise uns auf den Weg zur Schule machten.
Noch interessanter war allerdings der Heimweg, der wenig überraschend immer etwas länger dauerte als der morgendliche Gang zum Ministrieren beim Frühgottesdienst. Zwei Stationen waren ein Pflichtstopp und jeden Tag entdeckten wir dort etwas Neues.
Beim „Waschn“ hatte der „Waschn-Peter“ seine Bastelkammer, die uns mit ihren unterschiedlichen Werkzeugen und Produkten immer wieder magisch anzog.
Der Peter war trotz seiner Behinderung ein technisch geschickter Handwerker, der mit viel Liebe und einem ungeheuren Zeitaufwand aus den verschiedensten Materialien kleine und größere Objekte herstellte. Er hatte sich, so wurde uns Kindern zumindest erzählt, im Alter von 17 Jahren auf dem Heimweg vom „Baden“ in Hall verkühlt und erkrankte daraufhin so schwer, dass er Zeit seines Lebens behindert blieb. Behinderung, das hieß damals ausgeschlossen sein von Fürsorge und finanzieller Hilfe. Obwohl ihn seine Familie bis zu seinem Tod 1966 unterstütze und das Wohnen in seinem Elternhaus ermöglichte, muss das Leben hart gewesen sein für unseren Peter. Für die Kinder des Unterdorfs schien der Peter allerdings mehr zu sein.
Für mich war er, nicht gerade groß und immer leicht gebückt, ein kleiner Zauberer, der aus Holz und Karton die wunderlichsten Dinge herstellen konnte. Dunkel erinnere ich mich an das runde Brett mit den vielen kleinen Hühnern, die man durch das Ziehen an Spagatfäden zum Picken bringen konnte. Das halbe Dorf beschenkte er – oder verkaufte er seine Werke? – mit kleinen Schmuckschatullen, die er in unterschiedlichster Art verzierte. Seine Meisterwerke waren kleine Leiterwagen, die bei Spielen verschiedenster Art verwendet werden konnten.
Die zweite Station war beim „Pabst“, der Gemischtwarenladen der „Föger-Luisi“. Während unsere Oberdorf-Kollegen dem Mair Otto in seinem Laden beim Schiachl manchen Streich spielten und das eine und andere Mal auch eine Saure Gurke, einen „Stolli“ oder Lutscher mitgehen ließen, hätten wir uns das bei der Luisi nie getraut.
Zu meiner Schulzeit war der Laden noch nicht um- und ausgebaut worden. Der Eingang sah aus wie eine richtige Pforte mit zwei kleinen Schaufenstern auf beiden Seiten. Sowohl der Eingang als auch die Schaufenster konnten in der Nacht mit einem Rollladen verschlossen werden.
Da stand die Luisi dann hinter ihrem Pudel und erwartete ihre Kundschaft. So weit ich mich erinnern kann, durften wir noch mit einem „Monatsbüchl“ einkaufen gehen, das heißt der Einkauf wurde Produkt für Produkt und Ware für Ware in ein Büchl eingetragen und am Monatsende abgerechnet. Neben dem Haus meiner Großeltern war beim „Pabst“ eines der wenigen Telefone des Unterdorfs. Während es zu Hause mich des Öfteren traf, „Telefon ausrichten“ zu gehen, mussten die wesentlich älteren Fögerkinder wahrscheinlich häufig Nachrichten im ganzen Dorf überbringen. Rückrufe wurden dann gleich im Gang des Hauses getätigt.
Zudem war der Eingang ins Geschäft war damals auch noch ein gutes Versteck, weil man von den im Unterdorf entlang Gehenden erst im letzten Moment oder gar nicht gesehen werden konnte. Daher eignete sich der Platz gut für einen besonderen Kinderstreich, für eine kleine „Tratzerei“. Einmal legten wir eine Geldtasche auf die damals noch nicht asphaltierte Straße, bedeckten die daran gebundene Schnur mit Staub, versteckten uns im bereits beschriebenen Eingang und warteten auf unser Opfer. Ich weiß nicht mehr ganz genau, aber ich glaube, es war der „Weberbauer“, der vom Feld nach Hause ging und plötzlich die Geldtasche auf der Straße liegen sah. Als er sich danach bückte, zog einer von uns ganz plötzlich an der Schnur. Ich kann mich nicht mehr erinnern, ob der so Gefoppte gelacht hat oder ob er zornig war. Jedenfalls suchten wir blitzartig das Weite und versteckten uns hinter einem der Häuser, um einer eventuellen Strafe zu entgehen. Dabei hieß es recht vorsichtig zwischen den Gebäuden zu verschwinden, wachte doch im Hausgang beim Stöckl ein riesiger Hund, der Lion. – Aber das ist eine andere Geschichte!
Quelle: Dorfblatt Mils