Verurteilung wg. Ehrabschneidung

Welchem starken Wandel der Umgang mit dem Begriff „Ehre“ unterzogen ist, zeigen Gerichtsurteile des BG Hall über Milser aus dem Jahre 1935 (Haller Blatt):

  1. Wegen Ehr­ab­schnei­dung wur­de A. W. in Kol­saß geklagt, weil er anfangs März beim Steidl­wirt in Kol­saß den J.K. ein „altes Weib“ nann­te. Bei der Ver­hand­lung ließ sich der Ange­klag­te zu einem Wider­ruf nicht her­bei, son­dern erklär­te mann­haft: „Was ich gesagt habe, neh­me ich nicht zurück!“ Des­halb lau­te­te auch das Urteil streng auf 50 Schil­ling, bedingt auf 1 Jahr.
  2. S.G. hat­te von J.K. in Mils einen Ver­gü­tungs­be­trag für eine ein­ge­stell­te Kuh ver­langt. Dar­über ergrimm­te K. der­art, dass er ihn einen Schuft nann­te. Dem Rechts­an­walt gegen­über, der ihm die Rück­nah­me die­ses belei­di­gen­den Aus­dru­ckes nahe­leg­te, erklär­te er in Gegen­wart einer Ange­stell­ten, er ste­he nicht um, noch­mals zu sagen, daß G. ein Schuft sei. Urteil: 30 Schil­ling Geld­stra­fe oder 3 Tage Arrest und Strafkostenersatz.

Prozesse aus den 1920er Jahren:

  1. Zu einem Han­del gehö­ren zwei.
    Der Händ­ler K.S. in Mils klag­te den Guts­be­sit­zer A.P. und den Inva­li­den A.H. wegen Ehren­be­lei­di­gung, weil sich bei­de über ihn so äußer­ten, als hät­te er nicht viel Geld, son­dern Schul­den. Letz­te­rer bekräf­tig­te sei­ne Behaup­tung dem Klä­ger gegen­über noch mit einer ver­ab­reich­ten „Fot­zen“. Für die­se eigent­lich auf eine Geschäfts­stö­rung anspie­len­de Belei­di­gung wur­de P. zu 30 Schil­ling und H. zu 50 Schil­ling Geld­stra­fe ver­ur­teilt. Vom ers­te­ren wur­de Beru­fung angemeldet.
  2. Kein wesent­li­cher Unter­schied lag im Wort­laut einer Belei­di­gung, wegen wel­cher die Frau M.K. ihren Woh­nungs­nach­barn R.W. klag­te, denn sie behaup­te­te, daß er zu ihr „Sau­men­sch“ gesagt habe, dage­gen wuß­te er gewiss, daß er nur „Dreck­sau“ gesagt habe. Bei­de waren auch vor dem Rich­ter in gegen­tei­li­ger Ansicht, wobei „sie“ sag­te, daß „er“ kein gute Mensch ist, und dar­auf er ant­wor­te­te: „du bist halt eine böse Frau.“ Der Geklag­te woll­te zuerst nicht Abbit­te leis­ten, tat dies aber schließ­lich doch vor­sichts­hal­ber mit Rück­sicht auf sei­ne Vor­stra­fen. Und das war auch rich­tig so.
  3. Wenn zwei das Glei­che tun.
    Die A.P. in Mils klag­te den Bau­ern­sohn F.T. wegen Ehren­be­lei­di­gung, weil er sie am öffent­li­chen Plat­ze ein „schlech­tes Madl“ nann­te. Der Geklag­te hat­te die Belei­di­gung im Zorn aus­ge­spro­chen, weil er mein­te, daß ihm die Klä­ge­rin den Wasch­kes­sel rui­niert habe. Die Belei­dig­te hat­te auch mit „Laus­bub“ geant­wor­tet, aber es wur­de kei­ne Gegen­kla­ge erho­ben, weil hie­zu die Frist bereits abge­lau­fen war.

Dazu ein Artikel im Milser Dorfblatt von J. Waldner (2016):

Es ist inter­es­sant und amü­sant zugleich, das „Hal­ler Blatt“ ver­gan­ge­ner Zei­ten zu durch­stö­bern, ins­be­son­de­re die Rubrik „aus dem Gerichts­saa­le“ erlaubt Ein­bli­cke in das Leben frü­he­rer Zeiten.

So fällt bei der Durch­sicht der Aus­ga­ben der 1920er Jah­re auf, dass sich die gro­ße Mehr­heit der  Gerichts­ver­hand­lun­gen um das The­ma „Ehren­be­lei­di­gung“ dreh­te – das wird wohl heu­te nicht mehr so sein.

Die Fra­ge, was Ehre über­haupt ist, kann lei­der nicht so ein­fach beant­wor­tet wer­den, zu unter­schied­lich wur­de und wird der Ehr­be­griff in ver­schie­de­nen Zei­ten und Kul­tu­ren inter­pre­tiert. Ver­all­ge­mei­nert könn­te man sagen, dass ehren­wert zu sein heißt, in Bezug zu ande­ren so zu sein, dass das Sosein deren Wert­schät­zung genießt, befasst sich also mit dem Anse­hen eines Men­schen in der Gesell­schaft bzw. einer Grup­pe. Doch genau das ist einem stän­di­gen Wan­del unter­wor­fen. Der Ehr­be­griff der Rit­ter oder jener der ade­li­gen Offi­zie­re der Mon­ar­chie, die – gran­di­os beschrie­ben in den Roma­nen von Schnitz­ler und Roth – ihre Ehre in meist töd­li­chen Duel­len aus­foch­ten, als der Ehr­be­griff mehr bedeu­te­te als das eige­ne Leben, erscheint uns heu­te als merk­wür­di­ger, nahe­zu lächer­lich über­stei­ger­ter Ehren­ko­dex. Voll­ends per­ver­tiert wur­de der Ehr­be­griff durch das NS-Régime ( Wahl­spruch der SS: „Mei­ne Ehre heißt Treue“). Seit­dem darf die deut­sche (und öster­rei­chi­sche) Natio­na­leh­re nur sehr vor­sich­tig zum Aus­druck gebracht wer­den, etwa nach Sie­gen der Fuß­ball­na­tio­nal­mann­schaft (und sogar das wur­de heu­er von diver­sen Grup­pen infra­ge gestellt).

Und die Ehre heu­te? Brau­chen wir die über­haupt noch?

Längst ist der ade­li­ge Begriff der Ehre von einem bür­ger­li­chen abge­löst wor­den, des­sen Tugen­den Tüch­tig­keit und Arbeit waren. Nach der Kata­stro­phe der Welt­krie­ge galt  die Kon­zen­tra­ti­on brei­ter Schich­ten auf Ver­meh­rung des eige­nen Wohl­stan­des, mit mög­lichst wenig Arbeit zu viel Geld zu gelan­gen wur­de zur Maxi­me einer Frei­zeit­ge­sell­schaft, die in der Arbeit und der damit ver­bun­de­nen Ehre kei­ne gro­ße Bedeu­tung mehr sieht – im Gegen­teil, die Ten­denz ver­stärk­te sich,  dass der Ehren­wer­te immer häu­fi­ger zum Dum­men abge­stem­pelt wird  und sich gezwun­gen fühlt, den Unehr­li­chen anzu­pas­sen. Hin­zu kommt, dass es inner­halb der bestehen­den Gesell­schaft unter­schied­li­che Auf­fas­sun­gen gibt (die Ehre tür­kisch-mus­li­mi­scher Fami­li­en wird nicht erwor­ben son­dern ver­tei­digt, auf Basis der Ehre der Frauen).

Eine wei­te­re Demon­ta­ge des Ehr­be­griffs wird im Inter­net ver­an­stal­tet, wo durch Anony­mi­tät erleich­ter­te Angrif­fe auf Mit­men­schen gera­de­zu explo­die­ren („Ein von Hass ver­zerr­ter Spie­gel der Gesell­schaft“ titel­te die TT am 22.6.). Belei­di­gun­gen, Hass­bot­schaf­ten bis zu Gewalt- und Mord­dro­hun­gen neh­men erschre­ckend zu, rei­ßen Grä­ben auf, wie sich über­haupt der Ein­druck ver­stärkt, dass die poli­ti­sche Mit­te zuse­hends ero­diert, Mei­nun­gen und Maß­nah­men in links und rechts ein­ge­teilt und damit die kom­pli­zier­ten Abläu­fe im emp­find­sa­men Mit­ein­an­der ver­ein­facht und radi­ka­li­siert wer­den, Demons­tra­tio­nen und Gegen­de­mons­tra­tio­nen bür­ger­kriegs­ähn­li­che Dimen­sio­nen anneh­men, Frem­den­hass auf Hass auf das eige­ne Volk trifft, geleb­te Tra­di­tio­nen mit Tabu­zer­trüm­me­run­gen kon­fron­tiert wer­den, rück­wärts­ge­wand­te Ideo­lo­gien mit rea­li­täts­fer­nen Dies­seits­re­li­gio­nen wett­ei­fern – Bil­der einer zer­ris­se­nen, radi­ka­li­sier­ten Gesell­schaft, die an die 1930er Jah­re erin­nern. Wol­len wir erneut dort­hin kom­men, dass spä­te­re Gene­ra­tio­nen wie­der alles auf­zu­klä­ren ver­su­chen und nach­träg­lich die trü­ge­ri­schen Vor­her­seh­bar­kei­ten und  Gesetz­mä­ßig­kei­ten bloß­le­gen oder kon­stru­ie­ren müssen?

Viel­leicht haben die Belei­di­ger der 1920er Jah­re ja nur einen klei­nen Feh­ler began­gen: sie hät­ten ihre Schmä­hun­gen in Reim­form for­mu­lie­ren und sodann zum Kunst­werk erhe­ben sol­len. Oder soll­te die­ser Trick von Böh­mer­mann und Co. nur in der heu­ti­gen Zeit funktionieren?

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