Vom Mai 1945
Der furchtbarste und grausigste Krieg aller Zeiten geht seinem Ende entgegen. In unserem Heimatort sind bis heute 14 Gefallene und 5 Vermisste seine Ernte.
Am 16.02.1944 fielen über 20 Bomben auf Mils. Beim Tiefenthaler hatte eine die südöstliche Hausecke weggerissen, beim Strickner in Aichat wurde das Dach weggeschleudert. Dachziegelschäden waren überall im Dorf, ruß- und rauchgeschwärzt war die Westfront des Taubstummeninstitutes von einer Bombe, die in den Garten einschlug. Menschen waren nicht zu beklagen, nur die Frau Anna (Schiendl) von unserem Kameraden Peter Waldner hatte durch ein Sprengstück eine größere Verletzung am Bein davongetragen. Tag für Tag (und oft auch in den Nächten) hatte die Bevölkerng – besonders Frauen und Kinder – Schutz gesucht im Stollen, der im Haslach zum Schutz vor Bombenangriffen von der Gemeinde errichtet worden war. Nun sollen diese „Schrecken ohne Ende“ endlich ihr „Ende mit Schrecken“ finden.
Zwei Ausschnitte aus der Presse jener Tage sollen die Lage in unserer Heimat in den letzten Stunden des 2. Weltkrieges kurz beleuchten:
Innsbrucker Nachrichten, Nr. 103, 92. Jahrgang
Donnerstag, 3. Mai 1945
Rundfunkansprache des Gauleiters:
Ausharren, Haltung, Disziplin! —Wir wollen uns wehren bis zum Letzten—Es ist vorgesorgt, um unsere Gegner von dem Korn unseres „Landes im Gebirge“ aufzuhalten. —Wir aber wollen uns um so zäher in unsere Berge krallen!—
Tiroler Nachrichten, Nr. 1, 1. Jahrgang
Freitag, 4. Mai 1945
Die Befreiung unserer Heimat Tirol.
Österreicher! Tiroler! Innsbrucker!
Die alliierten Truppen stehen vor Innsbruck. Jeder Widerstand ist nicht nur zwecklos, sondern ein Verbrechen an Volk und Staat. Es lebe die Freiheit!
Es lebe Tirol! Es lebe Österreich!
Augenblicksbilder
aus Mils aus jenen Tagen und Wochen.
Rings um das Dorf, besonders im Wald und droben im Absamer Aichat steht Militär, eine große Gefahr für die Heimat: Werden wird noch in letzter Minute Kriegsgebiet? – Die neue Tiroler Landesregierng fordert die Truppen auf, den Krieg aufzugeben.
Eine in Mils stationierte Flakbatterie fährt am letzten Abend ab durchs Unterdorf. Aus einem Hause wird die weißrote Fahne Tirols entfaltet. Da zieht ein preußischer Offizier seine Pistole.
Obwohl rings überall die Fronten zusammenbrechen und seit 2 Wochen schon eine Waffenstreckung auf die andere folgt, wollen einige immer noch „siegen“. Im Aichat stehen einige Autos eines Verpflegungstrosses, – nach wenigen Stunden sind sie „geräumt“: Markenfreie Zubuße in dieser an Nahrung und Kleidung knappen Zeit. Auch sonst gibt es hier allerlei Brauchbares für Haus und Stall. Bei der Volderer Brücke wird Widerstand geleistet. In der späten Abendstunde sieht man die Leuchtspurgeschosse von der Brücke gegen das Dorf fliegen und zurück – ein bunter Feuerzauber von einer halben Stunde. Das 1.Haus in Volders brennt. Andere Häuser in Volders erhalten Geschoßeinschläge. Bei der Brücke liegen noch nach Tagen 2 Tote. – Am Freitag-Nachmittag fährt das 1. amerikanische Auto durch Mils. Es ist von 4 Negern besetzt, die schauen sich unser Dorf an als wären es Sommerfrischler.— Der große Saal im Vereinshaus ist voll von Uniformstücken, ein riesiges Lager. Vieles wird noch rechtzeitig an die Bevölkerung verteilt. Vieles wird nach Hall weggeführt und dort beschlagnahmt. Der Rest, der in Mils für die Heimkehrer zurückbehalten worden war, wurde von Serben als „Siegerbeute“ weggenommen. —-
Ein grausiges Wetter, Regen und Schnee und dann wieder grimmige Kälte, die die Baumblüte fast vernichtet, herrscht in jenen Maientagen. Doppelt hart für die Soldaten, die noch der drohenden Gefangenschaft sich entziehen wollen.—
Im Wald ober der Heide stehen Autos, PKW und LKW. Sind es 50? Sind es 100? ES sind mehr! Jeder von Innsbruck bis Schwaz, der etwas braucht, holt sich von den Wagen. Und so schauen sie nach einer Woche schon traurig aus, ein riesiger Autofriedhof im Wald.—
30 kriegsgefangene Franzosen und Serben, die bis jetzt bei den Bauern in Arbeit gestanden waren, halten von jetzt ab „Feirtig“. Auch die Ostarbeiter, die polnischen, ukrainischen und russischen Mägde und Knechte arbeiten nur mehr, wenn es sie freut – es freut sie aber nicht mehr das Arbeiten für die Deutschen.—
Große und kleine Flakgeschütze stehen verlassen zwischen Oberländer und Angerer, auch draußen im Aichat. Mengen von Munition liegen herum, niemand räumt sie auf. Die Buben sind dahinter: Einer von Mils verletzet sich leicht, ein anderer verliert einen Finger, ein Haller büßt einen Arm ein, ein anderer junger Haller verliert das Leben.—
Europa in Mils
- 1 Monat nach dem Zusammenbruch waren in Mils
- 38 ortsansässige Heimkehrer (von rund 156 eingerückten Milsern)
- 107 Heimkehrer aus dem übrigen Österreich und aus Deutschland
- 25 Südtiroler Flüchtlinge, die aus der Steiermark gekommen waren
- 40 Innsbrucker Bombenflüchtlinge und ausgebombte Frauen und Kinder
- über 100 Wiener Flüchtlinge, die wegen des Russen-Vormarsches hierher gekommen
- und Reichsdeutsche Frauen und Kinder – Bombenflüchtlinge
- 64 Ausländisches Arbeiter und Flüchtlinge aus Ungarn, Bulgarien, Serbien, Polen, Ukraine, Litauen und Russland
- 20 kriegsgefangene Franzosen (die früher Knechte waren)
- 10 kriegsgefangene Serben.
Diese 2 Seiten
habe ich für diejenigen Kameraden unserer Musikkapelle geschrieben, die damals noch nicht heimgekehrt waren, – und für spätere Zeiten.
Mai 1945
Wegen der Kürze der Zeit und weil noch viel zu wenig Kameraden heimgekehrt waren, war ein Ausrücken bei der Prozession am Christi Himmelfahrtstag (10.5.) und Fronleichnam (31.5.) noch nicht möglich.
Im Auftrag der Gemeinde übernimmt bis zur Abhaltung einer von der Militärregierng bewilligten Vollversammlung und bis zur Durchführung von Neuwahlen bei derselen ObL. Glatzl als kommissarischer Kapellmeister die Leitung der Musikkapelle.
Weil das Probelokal von Südtiroler Flüchtlingen besetzt ist, werden die Proben im Großen Schulzimmer Nr. 22 abgehalten. Das 1. Flügelhorn bläst ein Heimkehrer aus dem oberschlesischen Kohlengebiet. Ein Musiker aus dem Rheinland wirkt mit seinem Saxophon mit. Zur letzten Probe kommen 5 Milser aus Hall als Aushilfe dazu. So konnte am 29. Juni 1945 das Fest Peter und Paul nach 7 Jahren wieder nach alter Milser Tradition gefeiert werden.
An diesem Tag hielt der Kaplan des St. Jos. Institutes Franz Feldkircher, ein Freund und Gönner unserer Musik, sein Goldenes Priesterjubiläum. Am Morgen begleitete die Musik den Jubelpriester zum Gottesdienst zur Kirche.
Am Nachmittag war es so schön, dass man fast vergessen konnte, dass 7 traurige Jahre hiner uns lagen: Mit Musik (19 Mann stark), Schützen (diesmal wieder mir Gewehren), Schulkindern, Kranzlmadln, vielem Volk zog die Prozession bei strahlendem Wetter durch das Dorf. Nach der Prozession hielt die Musik ein kleines Gratulationsständchen vor dem Widum. Mit einer reichlichen Spende dankten Pfarrer und H. Feldkirchner. Nach der Prozession hielt die Musik ein kleines aber tadelloses Konzert in der oberen Veranda des Gasthofs Tiefenthaler. Es wurden aufgeführt:
- Die Ouverture „Regina“ von Rossini
- der Walzer „El Turin“ von Granado
- das Lied „Ich grüße dich“ von Härtl
- und mehrere große Konzertmärsche.
Damals konnten wir uns noch ein Faßl Bier kaufen (gutes Bauernbrot und Käse haben einige Bauern gespendet).
4. September 1945
Großkundgebung für Südtirol in Innsbruck:
Aus allen Teilen des Landes waren die Musikkapellen und Schützenkompanien gekommen, der große Platz vor dem Stadttheater konnte die Teilnehmer nicht fassen. Wir standen weit drunten am Rennweg. Weiße Spruchbänder leuchteten aus dem bunten Trachtengemisch: Eisack und Inn, ein Land, eine „Gerechtigkeit für Südtirol!“ „Südtirol kimm hoam!“
Zuerst sprach Landeshauptmann Dr. Gruber vom Herzenswunsch der Tiroler und schloss seine Rede mit diesen Worten:
„Das Volk des österreichischen Tirol richtet an die Regierungen der alliierten Mächte die inständige Bitte, bei der Neuregelung der europäischen Staaten Südtirol wieder in den vielhundertjährigen Verband mit Österreich zu führen—-!“ Anschließend sprachen den Vertreter der 3 politischen Gemeinden und Dr. Reut-Nikolussi schloss mit den Worten: „Wir rufen alle Freunde Tirols in der ganzen Welt, helft uns!“
Diesmal war es uns nicht gelungen, eine auswärtige Aushilfe zu bekommen, so halfen uns wieder der Heimkehrer aus Polen und ein Lehrer aus Siebenbürgen (Bassflügelhorn). So waren wir 15 Mann stark, 2 Marketenderinnen und wir auch.
Nach der Kundgebung, die pünktlich um 17.00 Uhr begonnen hatte und eine Stunde gedauert hatte, war der Vorbeimarsch. Voraus eine Jugendgruppe (3 Buben und 4 Dirndln mit der Schulfahne) zog unsere Musik unter dem Spiel mit den Schützen am Landhaus vor der Regierung vorbei, überall wurden wir jubelnd begrüßt. Sehr viele Angehörige der Besatzungsmächte waren unter den Zuschauern. Ihnen galten die Spruchbänder in französischer und englischer Sprache, die im Zuge mitgetragen wurden. Es wurde schon dunkel, als wir beim Hochhaus unsere beiden Autos bestiegen, und zugleich setzte ein heftiger Sturmwind, der Sand und Staub von den Häuserruinen herunterwarf, ein. Dann bei der Kettenbrücke begann es dann zu regnen und auf der ganzen Fahrt begleitete uns strömender Regen, „der oft in Platzregen ausartete“, sodass wir wie getaufte Mäuse heimkamen. Da ging auch jeder gerne gleich heim.
25. November 1945
- Nach 7 Jahren wieder Schützenjahrtag.
- Dieser Sonntag war auch der Wahltag, wo das österreichische Volk wieder seine Abgeordneten in den Nationalrat und in die Landtage wählte.
- Nach 4 gut besuchten Proben und mit 3 Milser Aushilfen aus Hall für unsere Musik, 19 Mann stark, die Schützen vom Lorer herauf zum Jahrtag.
- Die Haydnmesse arrangiet von Kliment, und das „Intermezzo“ wurden sehr gut aufgeführt.
- Hernach war auf dem Friedhof die Heldenehrung für die Toten beider Kriege, besonders aber für die im zweiten Weltkrieg gefallenen Milser:
Pomberger Rudolf Mair Ernst Schneider Franz Strickner Alois Felder Johann Oberthanner Franz Schiendl Josef Unterweger Mathias Posch Alois Schiendl Alois Mair Karl Nußbaumer Adolf Schwienbacher Karl Pirchmoser Josef Posch Josef Nußbaumer Alois Ebenbichler Willi Freudenschuß Franz Vogelsberger Josef Schmidt Alois Blaßnigg Thomas Eisenstecken Peter
Nach einem Trauermarsch unserer Kapelle hielt Pfarrer i.R. Fink, Feldkurat a.D. die Gedenkrede und zwischen 2 Strophen des Liedes vom „Guten Kameraden“ gaben die Schützen eine Salve ab.
Hernach bewirteten uns die Schützen beim Tiefenthaler mit gutem Bauernbrot.
Zum Abschluss des Jahres 1945
Im Laufe des Jahres 1945 sind bis zum 31. Dezember vom Wehrdienst aus der Kriegsgefangenschaft heimgekehrt die folgenden Kameraden unserer Musikkapelle:
- Wachtmeister Moser Andrä von der Gendarmerie Hochgebirgsabteilung Tirol aus Innsbruck
- Obergefreiter Waldner Peter von der Luftwaffe-Flak aus Italien (Urlaub)
- Hauptgefreiter Glatzl Josef von der Marine Artillerie-Flak aus Dänemark (Urlaub)
- Kontrollmeister Lahartinger Franz von der Flugzeugfabrik Wiener Neustadt (Flüchtling)
- Obergefreiter Tschugg Anton von der Herm. Göring-Division aus Pocking bei Passau
- Stabsgefreiter Knab Fritz von einem Feldlazarett von der jugoslawischen Grenze
- Feldwebel Eberl Andrä
- Obergefreiter Waldner Josef aus Brescia-Italien von amerikanischer Gefangenschaft
- Funker Angerer Max von der Festungsartillerie aus russischer Kriegsgefangenschaft
- Stabsfeldwebel Ebenbichler Otto von aufgelöster österr. Freiwilligen-Baon aus Frankreich
- Gefreiter Lahartinger Hans am Hl. Abend aus französischer Kriegsgefangenschaft
Gefallen sind im 2. Weltkrieg die Kameraden:
- Alois Schiendl, Bauernsohn beim Nahterer, Bassist, + 16.10.1942
- Thomas Blaßnigg, Heeresmusiker, Baßflügelhornist, + 18.3.1943
- Schiendl Josef, Bauernsohn, zuletzt beim Schober + 1942.
Ihnen wollen wir ein ehrendes Andenken bewahren.
In Gefangenschaft oder vermisst sind bis heute die Kameraden:
- Klingler Sebastian, Jeweinsbauer, in amerkanischer Kriegsgefangenschaft
- Klingler Franz, Schimmlbauer, in jugoslawischer Kriegsgefangenschaft
- Winkler Anton, Student-Lehrersohn, seit dem Fall von Stalingrad in russischer Kriegsgefangenschaft
- Scarazzini Adolf, Schneidersohn, in amerikanischer Kriegsgefangenschaft
- Oberthanner Robert, Müllerssohn, in englischer Kriegsgefangenschaft
- Föger Fritz, Sohn des Kaufm. Föger Nr. 14, in amerikanischer Kriegsgefangenschaft.
Quelle: OL Glatzl in der Schulchronik