Der nachstehende Vorfall wäre, wenn er sich in dem mittelalterlichen Florenz abgespielt hätte, zweifellos von dem Schriftsteller Boccaccio in seinen „Dekamerone“ aufgenommen worden. Die Dinge, über die wir nachstehend berichten, ereigneten sich allerdings erst dieser Tage in Mils bei Solbad Hall und man wird es verstehen, dass wir uns mehr mit dem Ablauf der Vorfälle, als mit den daran beteiligten Personen befassen.
Am Samstag, den 16. Juli 1960, war im Milser Vereinshaus ein Tanzabend und an ihm nahm ein jüngerer Mann teil, der vor noch nicht langer Zeit in Mils tätig gewesen war und damals mit einem Mädchen nähere Beziehungen unterhalten hatte. Dieses Mädchen hoffte er auf dem Tanzabend wieder zu sehen. Was aber nicht der Fall war und niemand klärte den Liebhaber auf, dass sein Mädchen sich derzeit in der Schweiz aufhalte. So tanzte unser junger Mann nicht viel, sondern wandte sich mehr dem Trunk zu. Er hatte einen erheblichen Schwips, als er das Tanzlokal verließ mit dem kühnen Vorsatz, nun sein Mädchen aufzusuchen und dabei den Weg durch das Fenster zu nehmen. Was glatt vor sich ging, und in der Tat lag in dem Bett das gesuchte Mädchen. So nahm dies jedenfalls unser stürmischer junger Mann an. Er fand auch Entgegenkommen – bis die weibliche Bettgenossin plötzlich aufschrie und das Licht aufknipste.
Der Schreck war beiderseits groß, denn die Frau erblickte einen ihr vollkommen unbekannten Mann bei sich im Bett und dieser Mann stellte bestürzt fest, dass diese Frau bedeutend älter war als sein Mädchen und er sie gleichfalls nie gesehen hatte. Was begreiflich war, denn die Frau stammte aus dem Norden Deutschlands und weilte in diesem Hause als Sommergast. Unser junger Mann lies Schuhe, Socken und einen roten Pullover im Stich – gerade noch, dass er seine Hose anziehen konnte – , um schleunigst auf dem gleichen Wege zu verschwinden, auf dem er in das Zimmer gelangt war. Der Schrei der Frau hatte aber die Hausgenossen alarmiert und sie erzählte ihnen und den bald darauf zum Schauplatz der Handlung herbeitelefonierten Gendarmen, dass sie im Schlaf vergewaltigt worden sei.
Worauf die Erhebungen auf Grund der am Tatort zurückgelassenen Bekleidungsstücke begannen. Sie war sehr bald erfolgreich abgeschlossen. Der junge Mann wurde ermittelt und gab ohne weiteres zu, was obenhin in knappen Zügen skizziert wurde. Seine Angaben deckten sich auch mit jenen der Frau. Sie will nur einen süßen Traum gehabt haben, dem allerdings ein schreckhaftes Aufwachen folgte. Wenn dem wirklich so war, so droht dem jungen Mann eine Anklage wegen Notzucht, denn er hat dann die Frau, die er angeblich als sein Mädchen betrachtet hat, in einem willenlosen Zustande missbraucht.
Quelle: Haller Lokalanzeiger vom 23.7.1960
Rechtliche Konsequenzen:
Drei Monate schweren Kerkers wegen Notzucht erhielt ein 22- jähriger Bursche aus Absam, der, wie berichtet, im Sommer des Jahres sich an einem weiblichen Sommergast in Mils vergangen hatte. Er war nachts in ein Landhaus eingestiegen in der Meinung, dass sein Mädchen dort sei. Indessen war dieses Mädchen gar nicht in Österreich, und stattdessen lag in dem Bett ein Sommergast. Das Gericht glaubte dem Angeklagten diese Verantwortung zum Teil und fällte ein mildes Urteil. Die Strafe war durch die Untersuchungshaft verbüßt.
Josef Waldner, 30.12.2017