Kapelle unserer Herr im Elend beim Moar in der Lorerstraße
(ok) Die am Bauernhaus der Familie Dornauer, Unterdorf Nr. 14, dem „Moarhof“ angebaute Kapelle wurde vermutlich im Jahre 1760 errichtet. Diese Jahreszahl ist nämlich am Weihwasserbecken eingemeißelt. Der Überlieferung nach hörte der damalige Besitzer des „Moarhofes“ Bartlmä Mayr nachts immer wieder lautes Pochen vom Widumstadel. Endlich fasste er sich ein Herz und schaute nach. Da fand er eine Kiste, in der sich die Figur eines leidenden Heilands befand. Er brachte die Figur nach Hause und baute zu diesem Zweck eine Kapelle an. „Unser Herr im Elend“ wurde von der Bevölkerung bald hoch verehrt. Als Mayr jedoch einen Opferstock aufstellte und die Einnahmen in seine Tasche fließen ließ, kam er in Konflikt mit der kirchlichen und weltlichen Obrigkeit. Pfarrer Josef Wolf erwirkte einen Gerichtsbeschluss, wonach „die Bildnus des gegeißelten Heylands, teils aus Holz, teils aus Leinwand“ 1762 von der Kapelle in die Pfarrkirche übertragen werden sollte. Die Übertragung erfolgte dann „unter großem Unwillen der Pfarrgemeinde und Widerstreben des Besitzers“. Beim Kirchenbrand von 1791 konnte die Figur gerettet und dem „Moarhof“ zurückgegeben werden. Schließlich kam es 1797 zur Aussöhnung zwischen den Nachfolgern von Bartlmä Mayr, nämlich Maria Mayr und ihrem Ehemann Peter Schmidlechner und der kirchlichen Obrigkeit unter Pfarrer Dr. Thomas Johannes Popp.
Die in einem Glasschrein aus dem 19. Jahrhundert am Altar der Kapelle aufbewahrte Figur ist ca. 120 cm hoch und von einer ganz eindringlichen Ausdruckskraft. Diese rührt vor allem von der geneigten Kopfhaltung her, die Christi Elend besonders bemitleidenswert erscheinen läßt. Um 1900 soll „ein kleines Mandl“ die fehlenden Hände und Füße der Figur als Papiermache ergänzt haben. Als der Bauer diese Arbeit zahlen wollte, soll das „Mandl“ plötzlich verschwunden gewesen sein. Das ursprüngliche Fehlen von Händen und Füßen gab Anlass zu einer anderen Version über die Auffindung der Figur: Diese soll nämlich am Inn angeschwemmt worden sein. Da man die Ähnlichkeit mit dem Matreier Gnadenbild erkannte, vermutete man, dass sie Figur aus dem Wipptal kam.
Tatsächlich gehört die Figur zum Typus des Matreier Gnadenbildes „Unserer Herr im Elend“, von denen es in Tirol etliche gibt: Ellbögen, Ulrichskirche Thaur, Kapelle in Leithen, Innsbruck St.Nikolaus usw. Das Matreier Gnadenbild stammt aus dem Beginn des 14. Jahrhunderts und befand sich zunächst in der Burgkapelle Aufenstein, heute St. Katrein. 1590 wurde die Figur auf Veranlassung von Erzherzog Ferdinand II. in die Pfarrkirche Matrei übertragen. Wie bei vielen Gnadenbildern gibt es auch hier eine Legende über die Herkunft des Schmerzensmannes:
“ Am Anfang des 13. Jahrhunderts hauste auf dem Bergschloß Aufenstein Ritter Heinrich tapferen und frommen Sinnes. Seine innige Liebe zum Heiland führte ihn in das gelobte Land. Hier fand er ein Bild des leidenden Heilands, welches ihm besonders ehrwürdig schien. Tief ergriffen von diesem Bilde ließ er eine treue Kopie sich verfertigen und brachte sie im Jahre 1210 auf sein Schloß, aus welchem sie später in die Pfarrkirche übertragen und vom Volke hoch verehrt wurde. Aber der Burgherr auf dem nahen Raspenbühel, ein Mann von wilden Sitten, ließ im trotzenden Übermute das Bild zur Nachtzeit aus der Kirche nehmen und in den Sillfluß werfen. Und siehe! Am Morgen stand es wieder an der alten geheiligten Stätte. Der Ritter wiederholte den Frevel, aber das Bild kam immer wieder zurück. Da geschah es, daß seine Frau in Kindsnöten lag. Mutter und Kind schwebten in Gefahr. Die milden und mahnenden Worte der frommen Gemahlin drangen nun vielleicht das erste mal in das felsenharte Herz des Mannes. Er eilte in die Kirche und vor dem Bilde, das er kurz zuvor geschändet, bekennt er seine Schuld, und fleht um Hilfe. Und zurückgekehrt in die Burg, vernimmt er schon die frohe Kunde von der glücklichen Geburt eines starken Knaben.“
Die Wallfahrt zum Matreier Schmerzensmann zählte einst zu den bedeutendsten Wallfahrten Tirols. Das Hauptfest wurde am dritten Fastensonntag begangen. Das Kultbild wurde in allen Anliegen angerufen. Auch unser Milser „Herr im Elend“ beim „Moarbauern“ wurde einst hoch verehrt. Darauf verweisen etliche Votivtafeln, die meisten aus dem 19. Jahrhundert, die älteste mit der Darstellung des Dorfbrandes aus dem Jahre 1791. Auf einer Votivtafel ist auch Hof und Kapelle des „Moarbauern“ und das daneben befindliche brennende Gasthaus Lorer zu sehen. Für Gebetserhörungen bedankten sich fromme Menschen mit Votivgaben, wie Wachsfiguren, Rosenkränzen und Metallherzen, die auf einem Rahmen angebracht sind.
Der Matreier Schmerzensmann und damit auch unserer „Herr im Elend“ vereint den „Ecce Homo“ Typ mit der Figur des im Grab liegenden Jesus. Als Pilatus Christus nach der Geißelung mit purpurrotem Mantel und Dornenkrone dem Volk vorführen ließ, sagte er „ecce homo“, „seht, welch ein Mensch“ (Joh.18,5), wobei er hoffte dadurch das Volk umstimmen zu könne. Doch das aufgewiegelte Volk forderte die Kreuzigung. Auf den verstorbenen Grabchristus weisen die herabhängenden Armen hin. Vielfach hatte man im Mittelalter die Figur des Ecce Homo in der Karwochenliturgie liegend als hl.Grabchristus verwendet.
Am Altartisch befindet sich ein Kreuzreliquiar in Monstranzform.
Das Kreuzreliquiar:
Höhe 27,8 cm, Breite am Fuß 13 cm. Strahlenkranzmonstranzform.
Kupfer bzw. Messing getrieben und versilbert, Strahlenkranz Kupfer vergoldet, die drei obersten Strahlen abgebrochen, vor den Strahlen Rankenwerk mit vier farbigen (2 roten und 2 violetten) Glassteinen rund um die Reliquienkapsel. In der mit rotem Samt ausgelegten Kapsel auf kreuzförmigem Papier zwei Holzsplitter, darunter Schriftband mit Inschrift: „de ligno verae ss.crucis D.N.J.C“ (Vom Holz des wahren heiligsten Kreuzes unsere Herrn Jesus Christus). In der Kapsel auf der Rückseite des Kreuzpartikels roter Siegellack ohne Aufdruck, mit Briefchen mit unleserlicher Aufschrift und der Nummer 444.
Entstehungszeit vermutlich 19. Jahrhundert.
Quellen:
- Wolfgang Pfaundler, Unser Herr im Elend, Das Fenster, Tiroler Kulturzeitschrift, Nr. 10, 1972, Seiten 934ff.
- Reinhard Rampold, Kultbild und Abbild, Das Gnadenbild „Unserer Herr im Elend“ in der Pfarrkirche Matrei am Brenner und seine Berührungskopien, Tiroler Heimatblätter 3/2005, Seite 66ff.
- Hanspeter Tiefenthaler, Zur Pfarrgeschichte von Mils, Diplomarbeit, Innsbruck 1984, S.40.
- Herbert Zimmermann, Dorfbuch Mils, 2002, S.51.