Moderne Forschung auf dem Gebiete der Volks und Besiedelungsgeschichte bedient sich nicht mehr, wie es früher üblich war, ausschließlich geschriebener Geschichtsquellen, sondern zieht zu deren Vertiefung und Ergänzung auch andere historische Erkenntnismöglichkeiten heran, .z.B.Siedlungsformen, Orts- und Flurnamen und Bodenaltertümer. Das gilt insbesondere für die Erforschung weiter zurückliegender Zeiten aus denen geschriebene Geschichtsquellen spärlich sind oder überhaupt fehlen. Vor allem Bodenaltertümer sind oft eine wertvolle Handhabe für die Besiedelungsforschung. Ein Beispiel hierfür hat unlängst das Dorf Mils bei Hall erbracht.
Daß in der Nähe von Mils schon in vorgeschichtlicher Zeit Menschen gehaust haben, läßt sich aus einigen Bronzefunden vermuten. Aus der ältesten Geschichte des Dorfes selbst weiß man durch eine Urkunde nur, daß dort um das Jahr 930 ein Hof bestand; ob es aber schon damals neben diesem Hof auch andere menschliche Behausungen gegeben hat, verrät keine Urkunde. Diese Unklarheit bezüglich des ältesten Mils hat kürzlich die Feststellung von Gräbern behoben, zu deren Kenntnis ich durch die verständnisvolle Achtsamkeit von Dr.Hans Hochenegg gelangt bin.
Bei Wasserleitungsarbeiten in Mils wurden auf dem Dorfweg ( heute Oberdorf Anm.) zwischen den Häusern Nr.23 und 24 menschliche Skelette aufgedeckt, die in gestreckter Lage im Erdboden lagen, den Schädel im Norden, die Füße im Süden. Irgendwelche Beigaben wurden in den Gräbern nicht vorgefunden, weder Waffen noch Schmucksachen, keine Tongefäße, nichts. Da bei Bestattungen aus vorgeschichtlicher Zeit fast ausnahmslos Leichenbeigaben angetroffen werden, das Schwinden des jahrtausendealten Brauches der Totenausstattung aber vom 8.Jahrhundert unserer Zeitrechnung einsetzt, darf aus dem Fehlen der Beigaben bei den Milser Gräbern geschlossen werden, daß sie nicht älter sind als der letzerwähnte Zeitpunkt.Das gilt selbstverständlich auch für jene beigabenlosen menschlichen Skeletten, welche 1912 / 14 beim Bau der Wasserleitung in der Dorfstrasse von Mils entdeckt worden sind. Diese Gräber lagen in Reihen angeordnet. Eine solche Anordnung ist in unser ren Gegenden nicht in vorgeschichtlichen Friedhöfen zu beobachten, wohl aber in denen, die aus der Zeit der Einwanderung der Baiuwaren herrühren, aus der zweiten Hälfte des 6. Jahrhundert und später. Wo in Mils heute die Dorfstrasse läuft, war also einmal ein Friedhof und wir können aus den angedeuteten Gründen vermuten, daß er nicht vorgeschichtlichen Alters ist, sondern frühestens aus altbairischer Zeit stammt.
Ein glücklicher Umstand erlaubt es jedoch, sein Alter noch genauer zu umgrenzen.Beim Abzweigen der Wasserleitung in die Häuser zu beiden Seiten der Straße wurde nämlich festgestellt, daß auch UNTER dem Hause Nr.24 Gräber stecken. Diese können natürlich nicht jünger sein als das Haus, denn wer wird jemals Gräber unter einem Hause ausheben. Nun weiß man aber, daß das Haus Nr. 24 schon in den ältesten Urbaren um das Jahr 1300 erwähnt wird, daher müssen die Gräber unter diesem Hause älter sein, und zwar erheblich älter; das Haus ist über den Gräbern erbaut worden, als man von deren Vorhandensein offenbar nichts mehr wußte, denn kein Bauer wird sein Anwesen just über den letzten Ruhestätten seiner Vorfahren errichten.
Da der um die Kirche von Mils angelegte Friedhof sich nie so weit nordwärts in den Bereich der heutigen Dorfstrasse erstreckt haben wird, weil zu solcher Ausdehnung in dem kleinen Dorfe kein Anlaß gewesen sein kann, und da der auf die Pest um 1630 zurückgehende Seuchenfriedhof auf dem Grunde des Anwesens Nr. 71 (beim Antholzer) am westlichen Dorfausgange lag, spricht alles dafür, daß die Gräber in der Dorfstrasse mit dem ältesten Bestattungsplatz von Mils zusammenhängen, als Teil des Friedhofes der frühesten baiuwarischen Ansiedler, etwa aus dem neunten Jahrhundert.
In dem allmählichen Verschwinden der Totenbeigaben, die nicht nur ein religiöser, sondern auch ein Rechtsbrauch waren, scheint sich eine Änderung der Rechtsauffassung zu spiegeln.Das Heergeräte des Mannes (Waffen, Gewand, gesatteltes Streitroß) die sogenannte Gerade der Frau ( Kleider, Schmuck ) fallen nicht mehr dem Toten zu, sondern den Verwandten und dann auch der Kirche. Dadurch wurden der Kirche Dinge zugewendet, die zuvor Beigaben in den Gräbern bildeten, z.B.erhält das Kloster Sankt Gallen in der Schweiz nach einer Urkunde von 806 von einem Erblasser Schilde, Lanzen, Kleider, Gold und Silber.
Noch in einer anderen Erscheinung aus dem frühen Mittelalter zeigt sich, wie die Kirche die Bevölkerung altgermanischem Rechtsbrauch entfremdet hat. Im 8. und 9. Jahrhundert wurden die alten Dorffriedhöfe aufgelassen und die Toten in den neu um die Ortskirchen angelegten Friedhöfen bestattet.Dieser Vorgang hat seinen Grund im Durchgreifen einer strafferen kirchlichen Organisation ( Ausbildung des Pfarrrechts und der Seelsorgebezirke ). Schon etwas früher macht sich der kirchliche Einfluß in der Umwandlung des Totengerätes in Seelgerät bemerkbar, also Überführung eines germanischen Rechtsgrauches in einen Vorteil der Kirche. Bald danach zieht die Kirche die Dorfgemeinde noch stärker in ihre Gewalt, in dem sie die Bestattung der Toten auf kirchlichem Boden durchsetzt. Das war natürlich keine bloße Äußerlichkeit, sondern die Kirche konnte nun die Benützung der Pfarrfriedhöfe durch die Gemeinde an Stelle der früheren Totenäcker als geistliches und weltliches Machtmittel handhaben.
Wo die zu dem altbairischen Friedhof von Mils gehörige Ortschaft lag, weiß man nicht. Sie braucht nicht auf dem Boden des heutigen Mils gelegen zu sein, der Friedhof kann die gemeinsame Begräbnisstätte zerstreuter Weiler gewesen sein, denn der baiuwarische Stamm hatte nach den Forschungen von Prof.Helbok keine alte Gemeinde, wie wir sie bei Alamannen und Franken sehen, die Dorfgemeinden mit eigener Verwaltung hatten, wenn auch unter herrschaftlicher Aufsicht.Nur im östlichen Niederdonau und westlich der Isar, offenbar infolge des fränkischen, bzw.schwäbischen Einflusses, gibt es solche. Die Baiuwaren haben in Tirol, Salzburg und Kärnten Talschaften gehabt oder Kreuztrachten in Salzburg und Altbaiern, ebenso Begräbnisbezirke oder Nachbarschaften. Deshalb wurde bei ihnen die Struktur eine herrschaftliche; freies Bauerntum arbeitete sich erst später hervor, z.B.in Tirol. Deshalb sind heutige Katastralgemeinden oft willkürlich durch Verwaltung späterer Zeit geschaffene, nicht gewachsene Einheiten, so daß die Arbeit der Siedlungsforschung hier eine ganz andere ist als etwa im deutschen Westen.Die Landnahme hat sich bei uns von Anfang an in anderer Form abgespielt;offenbar haben sich einzelne Bauern als Herren einer Gegend aufgetan, und es waren keine Kämpfe nötig wie im Westen, wo genossenschaftliche Landnahme erforderlich war. Das braucht nichts mit Stammeseigenart zu tun zu haben, sondern kann eine Angelegenheit der Bewohnerzahl gewesen sein, die bei uns sicherlich geringer warals im Westen. Bei uns hat es sich um Kolonisationsland gehandelt, wo einzelne Freibauern sich in vorhandene Bezirke setzten und die vorhandenen Einwohner sich untertan machten.
Soweit der Bericht von Prof.Dr. Leonhard Franz.
Als um 1985 der Neubau einer Feuerwehrhalle in Mils erwogen wurde, habe ich mehrmals auf die frühgeschichtlichen Gräber im Manggarten hingewiesen.Dieser Bereich ist also ein geschiehtliches Hoffnungsgebiet ersten Ranges und es bleibt uns und unseren Nachkommen vorbehalten, erstens das nicht zu vergessen und zweitens das Beste daraus zu machen.
Leider ist der Unverstand bei Bauarbeitern in dieser Beziehung sehr bedauerlich.Das selbe gilt für manche Bauherren, die keine Verzögerung ihres Vorhabens durch etwaige Nachforschungen dulden.
So haben wir heute keine Beweise mehr, wie, was gefunden wurde, als man beim Ausheben der Baugrube für das Schulhaus auf Skelette stieß.
Ebenso gibt es eine Reihe von Mitteilungen, daß bei Um- und Ausbauten, speziell von Kellern, Mauerreste, ja sogar “ undefinierbare Räume “ entdeckt wurden. So wurde z.B. beim Resch anläßlich des Umbaues eine “ Küche “ unter dem Keller festgestellt, aber ohne dies zu melden, oder weiter zu untersuchen,wurde weiter gebaut. Schade!
Diese Theorie vom einstmals verschütteten „URMILS“ hätte auch beim unteren Stindl einen Beitrag erhalten, als man ebenfalls unterhalb des Kellers eine niedere Küche fand. Es wäre sicher wert gewesen zu untersuchen, ob es sich um eine Haarröste, oder wirklich um eine Küche.Daß beim Lack einiges überschwemmt wurde, gilt als ziemlich sicher u.s.w. Beim Anbruch von Schottergruben wurden ebenfalls Brandschichten festgestellt, aber weder die Mächtigkeit der Aschenschicht noch deren Zusammensetzung geprüft.
Wie anfangs erwähnt, ist die Frühgeschichte von Mils unerforscht.
aus: Herbert Zimmermann, Frühgeschichte von Mils