1225, 1248, 1277, 1310 ff, 1338 ff, 1343, 1430, 1491/92 werden aus dem Hoch- und Spätmittelalter als große Hunger- und Mangeljahre überliefert. Die Liste der Hungersnöte in Tirol ist lang, zu lang, die aufgezählten Jahre noch nicht einmal vollständig.
Besonders schlimm soll es gegen Ende des 15. Jahrhunderts gewesen sein. 1491/92 etwa stiegen die Roggenpreise in Rattenberg binnen zweier Jahre auf das Vierfache (Schmelzer 1972, 70, vgl. auch unten: Abb. 7a). Obwohl in Bayern die Getreideausfuhr verboten worden war (Fischer 1919, XIII), trieb der Hunger manche Tiroler bis nach Hof (in Bayern), um auf „Saumrossen“ (Pferden ohne Wagen) Korn ins Land zu bringen. Händler sollen mit einem Preis, der das Fünffache des Einkaufspreises ausmachte, in Tirol satte Gewinne eingefahren haben.’ Aus dem Landtag zu Bozen sind Beschwerden bei Maximilian wegen des „Fürkaufs“ von Lebensmitteln, besonders des Getreides, erhalten. Von den Übervorteilten gefordert wurde, Getreidehändler sollten nicht mehr als zwei bis drei kr. Gewinn je Star haben (Chr. v. Bozen 1982, 313). Eine solch niedrige Gewinnspanne war bei den gegebenen Möglichkeiten zur Preissteigerung schon damals nicht durchzusetzen.
Das zweite Jahrzehnt des 14. Jahrhunderts (ab etwa 1310 ff.) gilt allgemein und weit über Tirol hinaus in der Hunger- und Ernährungsgeschichte als sehr leidvoll. Aus vielen Teilen Europas finden sich Klagen über großen Nahrungsmittelmangel und hohe Getreidepreise.’ Hunger herrschte „per totam Germaniam, provinciamque Tirolensem“, über das ganze deutsche Reich und die Provinz Tirol.’ Harte und lange Winter, regnerische Sommer, Hagel und Überschwemmungen werden als Ursachen genannt. Wie gewaltig die Getreidepreise damals darauf reagierten, sei am Beispiel Bayerns angedeutet. Kostete ein bayerisches Schäffel Weizen im Jahr 1258 zwei Gulden und achtundvierzig Kreuzer (2 fl. 48kr) oder rund 130 Jahre später (1387) 7 fl. 25kr., werden für das Jahr 1316 Preise von 157 fl. 5 kr. (sic!) und für 1317 sogar von 216 fl. 4 kr. (sic 0 kolportiert (G.K.L. Seuffert 1857, 406, Anm.).
Der Hunger der Zehnerjahre des 14. Jahrhunderts wird gerne als Anzeichen dafür interpretiert, daß Mitteleuropa den „Ernährungsplafond“ erreicht habe — bezogen auf den verfügbaren Stand der Agrartechnik. Die zwei bis drei Jahrzehnte später in Europa auftretende Pest sollte Landstriche zum Teil fast entvölkern und so der Druck auf die Versorgungsmöglichkeiten in geradezu radikaler Weise abgebaut werden. Noch mehrmals in den folgenden Jahrhunderten wiederholte sich leider Ähnliches.
Lange Zeit erlebten die Menschen Europas den Hunger auch als Problem von Übervölkerung so intensiv, daß diese Verknüpfung bis heute noch immer vorherrschend und weitverbreitet ist und — meist ebenfalls viel zu vereinfachend — auf viele andere Regionen der Erde übertragen wird. Dabei haben gerade die Europäer in den letzten eineinhalb Jahrhunderten genau das Gegenteil erlebt: Trotz einer sprunghaft gestiegenen Bevölkerung konnte hier Hunger, abgesehen von Kriegszeiten, zur Gänze ausgerottet werden.
Quelle: Josef Nussbaumer, Vergessene Zeiten in Tirol