Dorfzentrum 1950 – 2017

Mesnerhaus
Mes­ner­haus

Als das neue Dorf­zen­trum wuchs und Gestalt annahm, wur­de ein altes Relikt dem Erd­bo­den gleich gemacht:  Das  Mes­ner­haus wur­de abge­ris­sen – unbe­streit­bar ein Akt der Ver­nunft, war es doch alt, bau­fäl­lig und kaum noch reno­vier­bar. Moder­ne­re Alter­na­ti­ven  (Pfarr­saal) und Platz (für was auch immer) waren das Gebot der Stunde.
Aber die ent­stan­de­ne lee­re Stel­le ver­ur­sach­te kei­ne Lee­re in mei­nem Kopf – im Gegen­teil, sie war Antrieb genug, in Erin­ne­run­gen in die Ver­gan­gen­heit, in das Leben rund um das dama­li­ge Dorf­zen­trum ein­zu­tau­chen, wo ich die ers­ten sechs Jah­re mei­nes Lebens verbrachte.

Von der Stim­mungs­la­ge nach dem Krieg bekam man als Klein­kind natür­lich nichts mit. Ich weiß noch, wie ich mit mei­nen zwei Brü­dern spiel­te – im Haus meist unter dem Tisch, weil der Raum der­ma­ßen schmal war, hat­te man doch den Gang zur Küche umfunk­tio­niert. Kein Wun­der, dass wir uns, wenn irgend­wie mög­lich, im Frei­en auf­hiel­ten (in den Mona­ten ohne „r“ bar­fuß) und so das Leben im Dorf beob­ach­ten konnten.Und da gab es eini­ges zu bestau­nen: Wenn die Bau­ern mit Ein­spän­nern aus­fuh­ren; der im Peer­haus neben­an arbei­ten­de Schus­ter uns bei sei­ner Arbeit zuse­hen ließ; die Män­ner in schwar­zen Hüten vor der Kir­che so lan­ge pala­ver­ten, bis die Glo­cke zur Wand­lung ertön­te und nach voll­brach­tem Kirch­gang meist beim Tief­en­tha­ler ein­kehr­ten, auf einen „Rat­scher“, einen Wat­ter, Bie­ter oder Ste­cher. Auch von der­ben Scher­zen war immer wie­der die Rede, wie das Anzün­den eines „Rat­zens“, Ansta­che­lun­gen zu Rauf­han­del und Wut­aus­brü­chen etc. Schie­fer­ta­feln hiel­ten Punk­te­stän­de der Kar­ten­spie­le fest oder dien­ten zur Auf­zeich­nung von Schulden.
Ja, und natür­lich die Tätig­kei­ten rund um den Beruf mei­nes Groß­va­ters, der Mes­ner war. Beson­ders das Läu­ten der Kir­chen­glo­cken fas­zi­nier­te jeden männ­li­chen Dorf­be­woh­ner. Uns Klei­nen gal­ten die „Gro­ßen“ mit ihren wage­mu­ti­gen Manö­vern an den Sei­len oder gar im Glo­cken­turm als wah­re Hel­den und Vorbilder.

Peerhaus
Peer­haus

Auch die Minis­tran­ten­lauf­bahn war irgend­wie vor­ge­ge­ben- noch war die Kir­che das Zen­trum des Dor­fes und Mess­be­su­che auch unter der Woche wur­den von Leh­rern und Pfar­rer geför­dert bzw. gefordert.Ein wei­te­res sozia­les Zen­trum war der Dorf­la­den im Peer-Haus, des­sen Funk­ti­on über den blo­ßen Ein­kauf hin­aus­ging – auch hier wur­de viel „geratscht“, die Ver­käu­fe­rin­nen (Lui­se und Anna Peer, spä­ter Anna Freu­den­schuß) waren wah­re Ken­ner der Dorf­sze­ne. Für uns Kin­der boten die Stu­fen zum Ein­gang einen idea­len Platz um zu sehen oder gese­hen wer­den – wie etwa von fran­zö­si­schen Besat­zungs­sol­da­ten, die uns immer wie­der mit Süßig­kei­ten beschenk­ten und uns oft­mals zum Trup­pen­übungs­platz auf der Mil­ser Hei­de mit­nah­men (glück­lich der, wer gar an einer Pan­zer­fahrt teil­neh­men durfte).

Klar, dass sich der Ein­kauf selbst anders dar­stell­te, waren die Dorf­lä­den ja noch kei­ne Selbst­be­die­nungs­lä­den – man wur­de mehr oder weni­ger höf­lich bedient. Waren in Plas­tik­sa­ckerln gab es kaum, es wur­de gewo­gen, mit einem Blei­stift gerech­net, kas­siert und meist in Papier ver­packt (dies galt auch für die begehr­ten „Zucker­len“, die  abge­zählt aus einer Glas­ka­raf­fe im Papier­sa­ckerl ver­kauft wur­den), sogar ein „Stoll­werk“ wur­de ent­zwei geschnit­ten, hat­te man nicht genug Gro­schen zur Hand. Auch der gewal­ti­ge Hun­ger der puber­tä­ren Lehr­lin­ge auf üppig beleg­te Wurst­sem­meln bleibt in Erinnerung.

Haslwanter Haus
Haslwan­ter Haus

Im Mes­ner­haus war auch eine Klas­se der Volks­schu­le unter­ge­bracht, der Groß­va­ter war auch für die Behei­zung des Rau­mes mit­tels eines rußi­gen Ofens ver­ant­wort­lich. 1953 wur­de die neue Volks­schu­le eröff­net, mei­ne Fami­lie zog ins Ver­eins­haus um, wo mein Vater Haus­meis­ter wur­de. Die Stu­fen vor dem Geschäft wur­den von einer neu­en Gene­ra­ti­on bevöl­kert, wie etwa von den Kin­dern der Fami­lie Klin­gler, die durch den Aus­bau des Feu­er­wehr­hau­ses eine Woh­nung im Dorf­zen­trum erhiel­ten. So blieb die Gegend um die Kir­che noch eini­ge Zeit das Zen­trum des Dor­fes, bis all­ge­mei­ne gesell­schaft­li­che Ver­än­de­run­gen und der enor­me Zuzug in neu erschlos­se­ne Gebie­te der Gemein­de die Bedeu­tung des Dorf­zen­trums schwin­den lie­ßen. Als die Fam. Stock als letz­te Dorf­la­den­päch­ter in ein moder­nes Geschäft an der Dorf­stra­ße zog, der Tief­en­tha­ler dicht mach­te und die beherr­schen­de Rol­le der Kir­che abzu­neh­men begann, ver­wais­te das Dorf­zen­trum zuse­hends. Hof­fen wir, dass sich mit der Neu­ge­stal­tung des Dorf­plat­zes wie­der ein Platz der Begeg­nung für Mil­ser erge­ben wird.

Josef Wald­ner, 3.12.2017

FFW Halle
FFW Hal­le

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