Mils ist attraktiver als die schönste Frau der Welt. Seit dem Jahre 1951 haben sich rund 2000 Innsbrucker und Tiroler entschlossen, sich ein Leben lang an Mils zu binden. So ist die Einwohnerzahl inzwischen von 951 auf 3000 emporgeschnellt. Die Statistik weist Mils als die drittgrößte Zuzugsgemeinde in Österreich aus.
Wo einst Soldaten die Milser Heide durchrobbten und alle Widerwärtigkeiten eines Truppenübungsplatzes genossen, toben sich nun die Architekten aus. Sie haben mit ihren Neubauten die dörfliche Substanz überwuchert und ein Siedlungsbild geschaffen, das einem grotesken Sammelsurium ziemlich nahekommt. Die Initialzündung für diese Entwicklung war gegeben, als die Gemeinde Mils zu Beginn der fünfziger Jahre 16 Hektar Heide an ein Unternehmen verkaufte, den Quadratmeter zu drei Schilling. Mit dem Erlös wurde das neue Schulhaus gebaut. Das Unternehmen versprach, auf dem ehemaligen Übungsplatz einen Industriebetrieb aufzubauen. Geschehen ist nichts. So kommt es, dass von 3000 Milsern täglich 900 auspendeln. Sie sind für die Gemeinde keine Steuerbringer.
Da die Zukunft bekanntlich überall schon begonnen hat, rechnet man sich aus, dass in Mils Raum für 6000 Einwohner ist. Es können noch 200.000 Quadratmeter verbaut werden. Man täusche sich aber nicht: Die natürliche Vermehrung der Milser geht im Zeitalter der Antibabypille nicht mehr so stürmisch vor sich wie früher. Während im 3000-Einwohner-Dorf im Jahre durchschnittlich 35 Geburten verzeichnet werden, waren es vor zehn Jahren, als Mils noch 1500 Einwohner zählte, deren 70.
Mils 1975: Auf die 3000 Einwohner entfallen 400 Telefonanschlüsse, auf die 500 Haushalte mehr als 600 Autos. Vor 20 Jahren gab es fünf „Gemischtwarenhandlungen“. Davon sind zwei übriggeblieben. Die modernen Milser kaufen motorisiert in den Großmärkten ein.
Bürgermeister Hans Arnold, von Beruf Baumeister, wünscht sich, dass wenigstens die Neubauten, die erst noch aufgeführt werden, einigermaßen in die Landschaft passen sollen, damit Mils nicht noch mehr zum negativen Paradebeispiel für Bausünden werde. Das die Landschaft arg störende Hochhaus geht aber nicht auf das Konto von Mils. Es steht jenseits des Weißenbaches auf Haller Grund. Bald wird dort ein Unterländer Manhattan entstehen.
Wo die „Zugroasten“ in der Mehrheit sind, bildet sich nur schwer ein dörfliches Gemeinschaftsbewußtsein. Gemeinschaftsbildend in Mils sind vor allem die Vereine, die Schützen, die Musikkapelle, der Theaterverein, die Feuerwehr, der Gesangverein und der Sportklub zählen zusammen 1000 Mitglieder. Darunter sind nur wenige Neusiedler. Die Verschmelzung der Eingesessenen und Zugezogenen funktioniert am besten im Sportklub, der 500 Mitglieder zählt. Leider fehlen Turnhalle und Sportplatz. Aber das wird sich ändern.
Vom bäuerlichen Mils ist wenig übriggeblieben: etwa 20 Vollerwerbsbauern. Franz Legner, Besitzer des Marklhofes, ist Tirols größter Kartoffelbauer. Er erntet die beliebte „Ostara“ und andere Sorten vollautomatisch auf einer Fläche von 8 Hektar. Hans Vogelsberger, Altbürgermeister, Gutsverwalter des St.-Josefs-Instituts uns selbständiger Landwirt, gilt als einer der erfolgreichsten Fleckviehzüchter. Mit einem Stalldurchschnitt von 5000 Kilo Milch pro Tier im Jahr steht er an der Spitze. Seine Kuh Flora überbot sich im Wirtschaftsjahr 1971/72 selbst. Sie lieferte 10126 Kilo Milch.
Fremdenverkehr: 36.000 Nächtigungen pro Jahr bei 600 Betten. Die Glungezerbahn wirkt sich belebend auf den Tourismus aus. Nächstes Vorhaben: Abseits vom Dorf soll ein Jugendhotel mit 500 oder 1000 Betten gebaut werden.
Das wachsende Mils – bitte nicht mehr „bei Hall“, sondern schlicht und einfach „Mils“ – braucht unter anderem eine neue Volksschule und eine mit dem Klärwerk in Hall verbundene Kanalisation. Der Müll wird nach Pill geschafft. Nach jedem Wochenende können die Milser den Unrat wegräumen, den die Herren Autofahrer aus Innsbruck und Umgebung in der Erholungslandschaft zurücklassen.
Die 3 Bilder zeigen Beispiele, die verdeutlichen, daß Mils zum Tummelplatz für die Ideen zeitgenössischer Architekten wurde.
Die viel geschmähte „Lederhosenarchitektur“ fügt sich wenigstens einigermaßen in den Wald.
Das strenge Betongebilde auf dem oberen Bild sollte ursprünglich ein Geschäft aufnehmen. Nun aber birgt es einen Kindergarten der Gemeinde.
Der Volksmund bezeichnet die Ansammlung der Flachdächer auf dem dritten Bild als „Shiloh-Ranch“.
Links: Volksschulgebäude. Keine „Fabrik des neuen Menschen“, sondern ein schlichtes, dem Ortsbild angepaßtes Zweckgebäude für die heranwachsende Generation.
Quelle: TT 15. Feber 1975