Die Freifrau als Künstlerin
Text und Fotos: Birgitt Drewes
Was Hansi Hinterseer mit Maria oder Midl Egger zu tun hat und warum sie ans Ende der Welt zog? Die Worte lebhaft und engagiert klingen äußerst schwach, wenn für sie verwendet. Das Leben der Milserin bietet Stoff für viele Bücher.
Das Haus liegt beinahe am Ende einer Sackgasse, ganz im Norden von Mils. Auch wenn es von der Straße ein wenig zurückgesetzt ist, fällt sofort der Schmuck auf. Der umstrickte Hexenbesen als erster Blickfang, daneben die Nische, die entsprechend jeder Jahreszeit hergerichtet wird. „Ich habe immer schon gerne dekoriert, mir war wichtig, dass jeder Raum sein eigenes Leben hat“, sagt Maria Egger.
Ihre Mutter habe das zuhause im Brandstatthof und dann im Jeweinhof sehr geschätzt. Aber ihre vier Brüder zeigten wenig Verständnis dafür, ermahnten sie gar, „das Glump wegzuräumen“. Das störte die junge Frau wenig, „ich liebte schöne Dinge immer schon, auch mich schön anzuziehen und etwas aus mir zu machen“. Der wirkliche Schöngeist, der wenig mit Eitelkeit zu tun hat.
Wie auch, wenn man erfährt, wie intensiv Maria – oder Midl, wie sie von vielen im Dorf auch genannt wird – lebt. Jeder Tag beginnt um fünf Uhr früh, dann wird gebügelt, gestrickt, aufgeräumt, vorbereitet. Schließlich gilt es bereit zu sein für das Leben außerhalb des trauten Heimes.
Wenn die passionierte Milserin von ihren Mitgliedschaften bei verschiedenen Vereinen erzählt, kommen imposante Jahre zusammen. Seit 30 Jahren ist sie bei der Frauenrunde dabei. Seit 24 Jahren fährt sie zwei- bis dreimal im Jahr mit einem Bus voller MilserInnen zu verschiedenen Vorstellungen ins Landestheater. Eine Passion, die ihr vom Vater übergeben wurde, der im Orchester spielte. „Aida“ und „Porgy and Bess“ nennt sie selbst als ihre Lieblingsstücke.
Eine andere Zahl: 1975 war die künstlerisch Begabte die erste Krippenbauerin im Dorf. Mittlerweile hat sie zehn Weihnachtskrippen gebaut, fünf sind noch im Ort, die anderen in Südtirol, Salzburg und Berlin.
Wer vermutet, das könnte schon für ein Leben genügen, kennt noch nicht die Hälfte der Lebensgeschichte. „Das Kulturleben im Ort liegt mir sehr am Herzen“, gesteht sie. Der Ausdruck dieser Leidenschaft sind mindestens 400 Tuxer und tatsächlich zahllose Stutzen und Socken für die Schuhplattler, Matschgerer und Musikanten. „Ich kann nicht mehr“, sagt sie und setzt sich über Nacht hin, um dem Enkel einer Freundin dann doch wieder ein Paar in der feinsten möglichen Wolle zu stricken. „Er tut mir so leid.“
Das wissen wohl auch viele MilserInnen, denn es kann schon vorkommen, dass sie beim Heimkommen ein Sackerl mit Wolle an der Tür hängen hat mit einem großen „Bitte“ dran. „Ich kann halt einfach nicht nein sagen“, gesteht sie.
Das geht auch nicht bei den kunstvollen Billets aus gepressten Blumen aus dem eigenen Garten. Soeben hat sie für den Vinzenzverein wieder ein paar Dutzend gezaubert. Bei der Kunsthandwerksausstellung im Congress gewann sie vor ein paar Jahren sogar den ersten Preis. „Die 150 ausgestellten Billets waren im Nu verkauft und 400 Bestellungen sind eingegangen“, freut sie sich heute noch.
Wenn sie sich dann erholen will, fährt sie zweimal jährlich für eine Woche zur Kurzkur nach Bad Häring. Weit gefehlt, wenn man glauben möchte, dass sie sich entspannt und ruht. „Ich habe dann halt so viele Inspirationen“, entschuldigt sie sich fast dafür, dass dort ein Gedicht ums andere entsteht, die sie auch vorliest. Fünf Jahre lang fuhr sie mit einem befreundeten Ehepaar einmal pro Monat zu einer Dichterlesung nach Bad Häring.
Gedichte allein sind nicht abendfüllend, dachte sie sich, als sie mit 55 Jahren nach 38 Arbeitsjahren in Pension ging. „Ich fuhr mit dem Bus nach Innsbruck und schrieb mich im Gitarrenkurs ein“, schildert die aktive Frau. Fortan wurde täglich eine Stunde geübt. „Ich bin ja eine Freifrau und kann tun und lassen, was ich will“, lächelt sie.
Ganz so frei war und ist sie doch nicht. Mit Ehemann Peter baute sie das Haus und gemeinsam erzogen sie Tochter Veronika. Heute noch kommen die Enkel vier Mal in der Woche zum Essen, „so kann meine Tochter sehr gut am Vormittag arbeiten“.
Dass eine Frau ebenso aktiv am Erwerbsleben Anteil hat, war für Maria Egger immer klar. Nach acht Volksschuljahren und einem Jahr Haushaltungsschule begann sie zu arbeiten – im Haushalt und in der Firma Belutti. Keine Frage, dass sie als Näherin bald große Karriere machte. „Wir haben zum Beispiel die Sportausrüstung für die Skinationalmannschaft genäht“, erinnert sich Maria. Da habe sie nicht nur viel gelernt und auch Kurse in Salzburg besuchen dürfen. „Ich habe auch alle Skistars getroffen, auch den Hansi Hinterseer“, lächelt sie fast versonnen. Nach einer Zwischenstation im Tiroler Heimatwerk holte sie Belutti zurück. Doch die letzten Jahre wechselte sie ins Soziale Zentrum nach Mils. „Eigentlich wollte ich nie auffallen“, sinniert Egger. „Wenn ich über das Ziel hinaus Leistung brachte, waren die Menschen umso überraschter.“
Quelle: „Mein Mils“, März 2017