„Die Gisela“ (Gisella gesprochen, nicht Gisela wie bei den nördlichen Nachbarn) – für viele Milser nicht nur ein Name, sondern ein Programm, ein Markenzeichen einer einmaligen Persönlichkeit: hochgewachsen, bodenständig, laut, lachend, lebendig, direkt, (oft sehr direkt, manchmal für einige zu direkt), offen, wach, interessiert, die Umwelt wahrnehmend.
Am 6. Juni wird sie 92 Jahre alt. Und wer 1921 in Mils auf die Welt kam, hat einiges erlebt: wechselnde Lebensbedingungen, Aufstieg und Fall von Ideologien, Irrungen und Wirrungen, Führung und Verführung. Und den Krieg: Die männliche Jugend marschierte dorthin, wo weiße Blätter zu schwarzen Todeslisten wurden, Mütter und Frauen weinten sich in die Hoffnung einer Wiederkehr, allein mit ihren Ängsten, die am Tage lebten und sich nachts in die Träume schlichen.
Und mitten im Kriegsdrama eine Liebesgeschichte: die junge Gisela lernte 1940 den in Hall stationierten Steirer Franz Hyden kennen, der dann gleich nach Norwegen versetzt wurde. Man schrieb sich Liebesbriefe, versteckte in Briefen die Hoffnung auf ein Wiedersehn und vereinbarte so sogar die Hochzeit in Mils, wofür dem Bräutigam drei Wochen Urlaub vom Krieg gewährt wurde.
Dann Kriegsende, Heimkehr und die Nachkriegszeit: Hunger, Elend und Kälte (am Bauernhof etwas gemildert durch Selbstversorger-Möglichkeiten). Der „Wiederaufbau“ war begleitet von wachsendem Wohlstand und einer Reihe von technischen und sozialen Neuerungen, die Gisela und ihre Familie wie die meisten Milser erlebten, so die erste eigene Waschmaschine, der erste Staubsauger, das erste Telefon, das erste TV-Gerät als Fenster in die weite Welt, die ersten Autos in Mils auf immer mehr asphaltierten Straßen. Und vor allem: das eigene Haus, gebaut unter vielen Entbehrungen und möglichst viel Eigenleistung. Und wie viele Milser finanzierte man den Bau teilweise mit Zimmervermietung, als der Tourismus noch Fremdenverkehr hieß – mit der Gisela als Idealbesetzung, denn ihre Offenheit, ihre Begeisterungsfähigkeit schufen eine familiäre Atmosphäre, aus Gästen wurden Freunde. Sie ließ die Urlauber so weit als möglich am Dorfgeschehen teilhaben, der Besuch des „Tiroler Abend“ im (vollen) Vereinshaus, der „Drei Raunzer“ beim Lorer oder der „Fremdenkonzerte“ der Musikkapelle war mehr als nur Pflichterfüllung.
So kamen viele Gäste wieder, empfingen Ehrungen als Stammgäste, bis sich der Tourismus zu einem weltweiten Geschäft ohne Grenzen entwickelte und zwar die Ehrennadeln mehr, aber die zu Ehrenden weniger wurden – 1984 stellte man die Vermietung ein.
Inzwischen wuchsen die Kinder Christl, Gertrud und Franz heran, heirateten und bekamen selbst Nachwuchs, mit Anbauten schuf man Platz für neue Familien. Giselas Ehemann Franz, nach dem Krieg Polizist geworden, verstarb 1995, ihre Familie und der große Bekanntenkreis halfen ihr, besser über den Verlust hinwegzukommen.
Auch wenn ihr Gang langsamer geworden ist (vor allem nach dem Unfall 2006), ist sie noch immer eine starke Frau, noch immer wach, verfolgt das Dorfgeschehen mit großem Interesse, hat gerne Gesellschaft und liebt das Karten spielen.
Und noch immer ist sie alles andere als ruhig, hält mit ihrer Meinung nicht hinterm Berg und ist so eine Bereicherung für die Gemeinschaft – hoffentlich noch lange…