Syrer in Mils – Gespräch mit einer syrischen Familie
Syrien 2013: Seit Jahren ist das Land von einem Bürgerkrieg zerrissen – einem Konflikt, dessen Auslöser die revolutionäre Aufbruchsstimmung des „arabischen Frühlings“ war, der schon die Régime in Ägypten, Libyen und Tunesien hinweggefegt hat. Machthaber Assad will dieses Schicksal nicht teilen und beginnt 2011 einen Krieg gegen die Opposition (gegen das eigene Volk). Eine Reihe weiterer ethnischer und religiöser Konflikte entfachen eine grausame Spirale der Gewalt, zusätzlich lassen Geld- und Waffenströme aus dem Ausland und die Einmischung der Großmächte den Konflikt zu einem blutigen Schachspiel um Syrien eskalieren.
Basel und Katrin Alalmi leben mit zwei Kindern in einem kleinen Haus in einem Dorf in der Nähe von Damaskus. Basel ist Autohändler, man kommt über die Runden, kann sich auch mal was leisten. Es ist noch ruhig im Ort, aber ein Gefühl der Angst ist allgegenwärtig, denn man hört, dass Regierungstruppen einfach in Orte kommen, um Männer für die Armee rekrutieren. Bei Weigerung droht die sofortige Hinrichtung. Basel versteckt sich, nur heimlich besucht er seine Familie.
Plötzlich Schreie, Schüsse. Dann Gespenstische Ruhe. Später heftige Explosionen. Das müssen Bomben von Flugzeugen sein oder Raketenangriffe. Genaues weiß man nicht, vermutlich Regierungstruppen. In aller Frühe wagt sich Katrin aus dem Haus, muss über Leichen steigen, flieht mit den Kindern zu Verwandten. Rückkehr nach fünf Monaten. Eines Morgens um 5 Uhr wird das Haus erneut von heftigen Explosionen erschüttert. In Panik verlässt man das Haus, läuft um das Leben. Sie dreht sich um – und muss zusehen, wie das eigene Haus getroffen wird und in sich zusammenfällt.
Die Flucht führt von Ort zu Ort, der Kontakt zu ihrem Mann ist abgerissen. Lebt er noch? Nach drei Monaten die Nachricht: Er ist nach Jordanien durchgekommen, Schlepper haben dies für 2.000 $ bewerkstelligt. Auch Katrin bezahlt 1000 $ für einen Schlepper, für die Kinder gibt es Rabatt, sie kosten die Hälfte. Zu Fuß überqueren sie die Grenze, sehen den Familienvater in einem jordanischen Flüchtlingslager wieder.
Eine finanzielle Zuwendung von Basels Vater ermöglicht ihnen – inzwischen mit drei Kindern – einen Flug in die Türkei, von wo sie dann die Flucht nach Europa planen. Bei der Überfahrt nach Griechenland schlitzt die griechische Küstenwache ihr Schlauchboot auf, alle stürzen ins Meer. Erst als man die Kinder hochhält und verzweifelt „Baby“ ruft, werden sie aus dem Wasser geholt.
Nun ist man erst mal in Europa. Sogar in der EU. Aber Griechenland ? „Die Hölle“, sagt Basel- keine Schlafgelegenheit, keine Verpflegung, nichts. In Mimik und Gestik: Wir wollen euch nicht! So geht die Flucht weiter, Schlepper werden wieder engagiert, die sie – teils zu Fuß, teils in kleinen Autos – über die „Balkanroute“ nach Wien bringen, wo man sie auf einer Straße einfach aussetzt. Polizei bringt sie nach Traiskirchen, schließlich kommen sie anfangs September nach Mils und werden im SZ St. Josef untergebracht.
Und warum gerade Österreich? Im arabischen Raum scheint eben Österreich das Image eines reichen, sozialen Landes zu besitzen, das einen fairen Umgang mit Asylanten pflegt. Trotzdem – nach all den bisherigen Erlebnissen – waren sie positiv überrascht über die Aufnahme in Mils und heben besonders die freiwilligen Helfer hervor, denen sie ihren Dank aussprechen möchten. Sie bekunden ihre Bereitschaft zu Integration und Anpassung an das Leben in Tirol, wiewohl ihnen schon bewusst ist, dass der Flüchtlingsstrom Österreich auch vor große Probleme stellt – sie waren selbst Zeugen, wie sich Menschen unterschiedlichster Nationen eine syrische Identität erkauften, um die Chancen auf Asyl zu steigern.
Die traumatischen Erlebnisse der letzten Jahre scheinen nicht alle Familienmitglieder in gleicher Weise verkraftet zu haben, aber in ihren Augen ist auch Zuversicht zu lesen, die Hoffnung auf eine Bleibe, wenn möglich in Mils, auf einen positiven Asylbescheid und damit den Zugang zum Arbeitsmarkt. So besitzt Basel ein Dokument, das ihn als LKW- und Baggerfahrer ausweist und er kann nach eigener Aussage Reparaturen aller Art durchführen.
Wie ihre Zukunft wirklich aussieht, wissen sie nicht, genauso wenig, wie wir Einheimischen die Auswirkungen dieser „Völkerwanderung“ abschätzen können. Dies schafft Unsicherheit auf allen Ebenen – das politische Tagesgeschehen gibt reichlich Auskunft darüber.
Quelle: Dorfblatt 11/15