Das weitaus überragende und über die Grenzen des Landes hinaus bekannteste Kunstwerk von Mils ist die jetzt hinter der Altramensa aufgestellte spätgotische Ölberggruppe.
Die Geschichte der Ölberggruppe beginnt mit einer Legende:
1852 berichtet Prof. Flir in der Tiroler Schützenzeitung, der 80jährige Pfarrer Stockhammer (verstorben 1849) habe ihm von einer alten Überlieferung berichtet, wonach der Ölberg ein Werk des berühmten Albrecht Dürer sei. Die Figuren seien auf einem Floß von Nürnberg nach Tirol gebracht worden. Nach einer weiteren Legende sollte „ein Schiff den Ölberg nach Wien tragen, aber in Mils sei das Schiff auf einmal unbeweglich geworden. Alles Rudern und Rücken sei umsonst gewesen. Der Heiland schaute gerade gegen die Milser Kirche hinauf. Da hätten die Männer verstanden, was der Herr wolle. Sie trugen die Figuren in die Kirche hinauf. Das Schiff bekam nur sogleich wieder seine Bewegung und fuhr weiter“. Es handelt sich hiebei um eine jener typischen Legenden, in denen sich das Gnadenbild selbst den Ort seiner Verehrung sucht.
Der wahre Kern dieser Legende ist die Tatsache, dass die Ölberggruppe nicht für die Dorfkirche von Mils geschaffen worden ist. Dafür ist die Gruppe mit ihren überlebensgroßen Figuren zu monumental. Der ursprüngliche Aufstellungsort dürfte in einer Stadt zu suchen sein. Professor Flir meint, die Tiroler Landesfürsten könnten die Gruppe für Mils bestimmt haben, weil über das Schloss Grünegg und die Marienwallfahrt eine Beziehung zum Fürstenhaus bestanden habe. Dieser Vermutung schließt sich auch Marianne Hörmann in ihrer Diplomarbeit über den Milser Ölberg an. An der Außenseite der damals gotischen Stadtpfarrkirche von Innsbruck war eine Ölbergkapelle angebaut, in der sich Figuren von Christus und den schlafenden Jüngern befunden haben. Diese Figuren wurden 1577 durch neue Figuren aus Ton ersetzt. Möglicherweise waren die alten Holzfiguren dieser Kapelle im Auftrag Kaiser Maximilians I. hergestellt worden, dessen Interesse an der Gestaltung der Jakobs-Pfarrkirche urkundlich belegt ist. Sicher ist, dass der Meister der Milser Ölbergruppe zu den ganz Großen der spätgotischen Kunst zählte, weshalb auch anzunehmen ist, dass er dem Kreis um Maximilian nahestand. Als 1577 unter Erzherzog Ferdinand II. Veränderungen an der Innsbrucker Pfarrkirche durchgeführt wurden, kann man davon ausgehen, dass dieser große Kunstmäzen und Sammler den Wert der Gruppe erkannt und für deren Erhaltung durch die Aufstellung in Mils gesorgt hat, wo er ja sein Jagdschloss Grünegg besaß. Auch seine zweite Frau Anna Katharina von Gonzaga könnte die Überführung der Figuren nach Mils veranlasst haben.
Ein möglicher erster Hinweis auf den Ölberg in Mils geht aus einer Urkunde von 1635 hervor, in der Elisabeth Füger zu Friedberg, Witwe des Regimentsrates Karl Füger zu Friedberg und Kronburg um 300 Gulden eine Messe und das wöchentliche Geläute am Donnerstag und Freitag zu Ehren und zum Gedächtnis der Angst Christi am Ölberg und des Todes Jesu gestiftet hat. 1674 wurde in Mils unter Pfarrer Georg Ramb die „Todesangst Christi am Ölberg“ Bruderschaft gegründet, deren Zweck „… die andächtige Betrachtung des Erlösers am Ölberg war.“ Zumindest zu diesem Zeitpunkt muss sich die Ölberggruppe jedenfalls in Mils befunden haben. 1765 gewährt Papst Benedikt XIV. einen Ablass für den Altar der Milser Ölbergbruderschaft.
Im 18. Jahrhundert war die Ölberggruppe in der Milser Pfarrkirche auf einer Bühne über dem Sakristeieingang aufgestellt. Pfarrer Wolf veranlasste 1765 die Renovierung des Ölberges und ließ die Gruppe etwas höher aufstellen. Zur Zeit des Kirchenbrandes 1791 war die Gruppe noch in der Pfarrkirche, konnte aber wie viele andere Figuren und Kirchenschätze gerettet werden. Sie war dann kurze Zeit in einem Privathaus verwahrt. Dabei soll die Christusfigur einem plündernden französischen Soldaten einen derartigen Schrecken eingejagt haben, dass er sofort das Weite suchte. Wie sehr der Ölberg damals verehrt wurde, geht auch daraus hervor, dass die heute noch erhaltene große 1795 gegossene Glocke der Todesangst Christi am Ölberg geweiht ist und das Fahnenbild von 1770 ebenfalls die Ölbergszene zum Gegenstand hat. Dass die Wiederaufstellung des Ölberges in der Pfarrkirche geplant war, geht aus der Weihe des rechten Seitenaltares 1804 für die „Anbetung Christi am Ölberg“ hervor. Trotzdem war die Gruppe in den folgenden Jahren schlecht untergebracht. Sie soll sich in der „Totengruft“ gefunden haben, worunter vielleicht die Annakirche zu verstehen ist. Jedenfalls wurde sie 1866 in feierlicher Prozession in die Pfarrkirche gebracht und dort anstelle des Hochaltarbildes in einer Nische aufgestellt, wo sie bis 1950 verblieben ist. In diesem Jahr wurde sie bei der Ausstellung „Gotik in Tirol“ in Innsbruck gezeigt und durch Joseph Oberhammer restauriert. Dabei mussten fünf Farbschichten entfernt werden. 1952 kam es zu einer vom Denkmalamt veranlassten Besprechung mit Milsern, bei der es um die Neuaufstellung der Figuren ging. Gegen den vehementen Widerstand der Milser wurde schließlich doch beschlossen, die Gruppe vorerst probeweise in der Annakirche aufzustellen. Dabei wurde der barocke Altar entfernt und die Christusfigur mitten auf der Mensa aufgestellt. Die schlafenden Apostelfiguren standen in musealer Form und völlig isoliert auf Potesten um den Altartisch. Anläßlich der Renovierung der Annakirche wurden die Figuren 1990 auf einem Podium hinter der Altarmensa so angeordnet, dass sie wieder als Gruppe zur Geltung kommen, wobei man sich von der Stelle aus dem Neuen Testament leiten ließ: „Dann entfernte er sich von ihnen ungefähr einen Steinwurf weit, kniete nieder und betete“ (Lk 22, 41): deshalb die von den Jüngern abgewandte Stellung Christi. In den Jahren 1990/91 restaurierte das Team Resl Laub, Heidi Stanicic und Georg Oberprantacher die Gruppe in hervorragender Weise, sodass die originale gotische Fassung , eine hauchdünne Temperaschicht gut zur Geltung kommt.
Kompositionell ist der Ölberg also in zwei Bereich geteilt: Links die drei schlafenden Apostel, halb sitzend, halb liegend auf einem annähernd halbrunden felsigen Hügel, rechts etwas erhöht und abgewandt Christus, dem im Augenblick höchster Not der Engel mit dem Kelch erscheint. Es ist die Stelle dargestellt, in der Jesus betet: „Vater, wenn du willst, nimm diesen Kelch von mir! Aber nicht mein, sondern dein Wille soll geschehen.“ Da erschien ihm ein Engel vom Himmel und gab ihm Kraft (Lk 22, 42f).
Die folgend Beschreibung der Gruppe ist der 1995 erschienen Abhandlung Albrecht Millers über den Bildhauer Sebald Bocksdorfer entnommen:
Die Apostelgruppe beginnt links bei dem mit angewinkelten Beinen liegenden Jakobus, der den Kopf auf die linke Hand stützt und die Rechte fest auf das Buch legt. Die Schräge seines Oberkörpers und des parallel dazu vom linken Arm zum felsigen Grund niedergelegten Mantels wird durch das ausgestreckte Bein des Johannes wieder aufgenommen, über dessen Mantel und Rücken in einer großen Biegung weitergeführt und in dem aus Kopf und Armen geformten Oval zum Ausklingen gebracht. Rechts bildet die kraftvolle, im Schlaf schräg an den Fels gelehnte Gestalt des Petrus das Gegengewicht. Der Apostel sitzt auf einer felsigen Bank mit nach links geneigtem Körper, dessen Gewicht der rechte Arm abfängt, während die abgewinkelten Beine in einer lockeren Schrittstellung ausgreifen. Die schweren, sehnigen, entspannt ruhenden Hände sind seitlich des rechten Knies vor der verschatteten Höhlung des Mantels zusammengeführt. Über den Körper mit seinen ausgreifend bewegten Gliedmaßen legt sich das dünnwandige, tief ausgearbeitete Faltenwerk des Mantels in harmonischem Rhythmus.
Unter den Skulpturen des Ölbergers besitzt die Petrusfigur künstlerisch den höchsten Rang. Die allen Gestalten innewohnende Klarheit des anatomischen Aufbaues und Natürlichkeit der Bewegung erreicht hier ihren Höhepunkt.
Johanna Gritsch hat die Apostel treffen als Verkörperung der Lebensalter interpretiert. Johannes ist charakterisiert als der jugendliche bartlose Apostel, mit sensiblen und gleichzeitig energischen Gesichtszügen, weich fließendem, feingelocktem Haar und schlanken, beweglichen Händen. Jakobus wird als Mann in der Mitte des Lebens dargestellt. Kraftvoll und selbstbewusst ist seine Haltung, zupackend seine Hand auch im Schlaf. Petrus repräsentiert das Greisenalter. Sein mächtiger Schädel ist nahezu kahl, das gedrungene Gesicht mit dem kleinen struppigen Bart von Falten zerfurcht, die Körperhaltung von gelöster Schwere.
Die Figur des am Ölberg betenden Christus, deren Gestaltung den meisten spätgotischen Bildhauern große Schwierigkeiten bereitete, hat in Mils eine überzeugende Formulierung gefunden. Den leicht nach vorne gebeugten Körper umhüllt ein ungemein phantasievoll gefaltetes Kleid, das sich in einem Gitter von langen, schmalrückigen Stegen mit kurzen winkeligen Brechungen über den hohen Felsensockel ausbreitet. Die in einer Gebärde des Annehmens erhobenen Hände sind breit, faltig und schwielig. Das von seelischer Pein gezeichnete Gesicht wendet sich zögernd dem in wallendem Gewand heran schwebenden Engel entgegen.
Der Bildhauer des Ölberges
In der Vergangenheit wurde viel darüber gerätselt, wer den Milser Öberg geschaffen hat. Von Albrecht Dürer, über Veit Stoß, Gigl Sesselschreiber bis Hans Beierlein gingen die Zuschreibungen. Sogar der im 18.Jahrhundert lebende Franz Xaver Nissl aus dem Zillertal wurde als Schöpfer vermutet. Die ehemalige Landeskonservatorin Johanna Gritsch vermutet einen Meister aus dem Südwesten Deutschlands. Marianne Hörmann kann in ihrer umfangreichen stilkritischen Untersuchung die Urheberschaft des Milsers Ölberges ebenfalls nicht klärten, meint aber dass bei Albrecht Dürer die Stränge zusammenführen, die zu den einzelnen Bildschnitzern Süddeutschlands führen, so auch zu dem großen Meister des Milser Werkes. Hingegen scheint Albrecht Miller durch Stilvergleich mehrerer Werke der Nachweis gelungen zu sein, dass Sebald Bocksdorfer Schöpfer der Milser Figuren ist. Die Einbindung dieser Gruppe in das Oeuvre Sebald Bocksdorfers ergibt sich nach Ansicht Millers aus der Identität des Faltenstils der Tratzberger Katharina, anderseits aus der Ähnlichkeit der Modellierung der Köpfe des Ölberg-Christus und der Kruzifixe Bocksdorfers in Schwaz und Bruneck. Auch Duktus und Plastizität des Faltenwerkes des hl. Elegius aus der Pfarrkirche Schwaz sind dieselben.
Sebald Bocksdorfer kam zu Beginn der 1490er Jahre von Memmingen nach Innsbruck, wo er 1498 als Bürger aufgenommen wurde und 1519 verstorben ist. Zu seinen Werken zählen auch die Madonna der Pfarrkirche von Amras, das Truchsess-Epitaph in Neustift, verschiedene andere Grabsteine und der Totenschild Oswalds von Schrofenstein.
Bearbeitet: Dr. Krüpl