Warum neben der wesentlich älteren Pfarrkirche im Jahre 1509 noch eine zweite Kirche erbaut wurde, wissen wir nicht. Es gibt hierüber keine schriftlichen Aufzeichnungen, obwohl ältere Urkunden im Milser Pfarrarchiv vorhanden sind. Daraus läßt sich schließen, dass die Kirche nicht von der Pfarre, sondern von einer Zunft oder sonstigen Vereinigung erbaut wurde. Tatsächlich gibt es Hinweise für die Annahme, dass die Kirche für die im Haller Salzbergbau arbeitenden Milser Bergleute errichtet worden ist. Dafür sprechen die Darstellungen von Bergwerksheiligen im Inneren der Kirche.
Die Patronin der Kirche, die heilige Mutter Anna, ist ebenfalls ein Hinweis auf diese Bestimmung. Die hl. Anna, als Mutter der hl. Maria und Großmutter Jesu, kommt in der Heiligen Schrift nicht vor. Alles, was wir von ihr wissen, beruht auf einer urchristlichen Legende, dem sogenannten Protoevangelium des Jakobus. Ihr Fest ist seit dem 6. Jahrhundert am 25. Juli nachweisbar – heute ist es der 26. Juli – und wurde durch Papst Gregor XIII. für die ganze Kirche vorgeschrieben. Ihre Verehrung erreichte im ausgehenden Mittelalter ihren Höhepunkt. Durch die Reformation erfuhr ihre Verehrung eine Zeitlang einen Rückgang, blühte dann aber im 17. Jahrhundert wieder auf. Spiegelbildlich hierzu wurde die Milser Annakirche knapp vor der Reformation errichtet und im 17. Jahrhundert, noch während des dreißigjährigen Krieges, erneuert.
Die hl. Anna ist Patronin für eine glückliche Heirat, Patronin der Mütter, Witwen, Armen, Arbeiterinnen, Dienstboten, Drechsler, Goldschmiede, Hausfrauen, Haushälterinnen, Schneider, Krämer,
Kunsttischler, Müller, Seiler, Strumpfwirker, Weber, Schiffer und Bergleute. Die hl. Anna hatte also ein weites Betätigungsfeld als Fürsprecherin im Himmel. Im Zusammenhang mit der Geschichte von Mils scheinen die Schiffer und Bergleute von Interesse, denn Mils hatte mit der damals bedeutenden Innschifffahrt zu tun und viele Milser waren im Haller Salzbergbau tätig.
In Tirol tragen fünf Kirchen das Patrozinium der hl. Anna: Kaisers, Mils, Pill, Reutte und Vils. Weitere 22 Kapellen sind der hl.Anna geweiht. Ähnlich wie in Mils befinden sich in Ellmau und Sillian die Annenkapellen an der Friedhofsmauer. Die Annakapelle in Sillian enthält in ihrem Inneren ein Fresko mit dem Jüngsten Gericht. So scheint eine gewisse Beziehung zwischen der Verehrung der hl. Anna und dem Totenkult zu bestehen. Auch in Mils wurde die Annakirche schon in früher Vergangenheit immer wieder als „Totenkapelle“ bezeichnet. Dabei handelt es sich bei diesem Gebäude eigentlich nicht um eine Kapelle, sondern um eine konsekrierte Kirche. Dafür sprechen die noch aus der Entstehungszeit stammenden 12 Apostelkreuze in ihrem Inneren, denn diese werden nach dem Kirchenrecht nur in Kirchen und nicht in Kapellen angebracht.
Heute dient die Annakirche vorwiegend als Aufbahrungsraum, sie wird aber auch manchmal für Gottesdienste oder Andachten, wie zB. am Gründonnerstag verwendet. Ein Vertrag zwischen Gemeinde Mils und Pfarre regelt die Benützung zu Aufbahrungszwecken.
Das Erbauungsdatum am Triumphbogen 1509 liegt interessanterweise zwei Jahre vor dem bisher in der Literatur angenommenen Erbauungsjahr 1511, in welchem Jahr Peter Kerner die Annakirche als Spätwerk der Haller Bauhütte errichtet haben soll. Dieses Datum geht aber lediglich auf eine Urkunde im Milser Pfarrarchiv zurück, in welcher 1511 bei einem Giltenverkauf die „erbern Fetter Kärner Maurer und Jörg Hueber Zimmerman, beid Bürger zu Hall“ als Zeugen auftreten. Dies sagt aber nichts über die Erbauung der Annakirche aus. Auf Grund der bei der letzten Restaurierung freigelegten Inschrift kann das Jahr der Fertigstellung der Kirche nun mit 1509 präzisiert werden.
Peter Kerner arbeitete seit 1495 bis etwa 1515 in Hall und war vorwiegend bei städtischen Bauten wie bei der Stadtbefestigung, bei den nicht mehr vorhandenen Absamer und Milser Toren und beim heute noch zu sehenden Basteirondell am Unteren Stadtplatz, beim Umbau der Haller Münze im ehemaligen Ansitz Sparberegg beschäftigt. Von ihm stammt auch die 1840 abgerissene Veitska¬pelle am ehemaligen Haller Friedhof westlich des Rathauses. Viel¬leicht stammt auch die 1521 vollendete Veitskirche von Ampass von ihm. In der Annakirche präsentiert sich Peter Kerner nicht nur als Maurer, sondern auch als gotischer Architekt und künstlerisch ausgebildeter Steinmetz.
Der Entstehungszeit ist ebenfalls die gemauerte Altarmensa mit ihrer rotmarmornen Deckplatte zuzuordnen. Hingegen stammt die für die Ölberggruppe angefertigte Verbreitung des Altartisches ebenso von der Restaurierung 1989 wie auch der Fußboden aus rötlichen Klinkerplatten.
Rund 130 Jahre nach ihrer Erbauung wurde die Annakirche um 1642 vermutlich erstmals im Stile des Frühbarock umgestaltet. Die Seccomalereien an den Wänden mögen unansehnlich geworden sein und die spätgotische Einrichtung entsprach nicht mehr den Vorstellungen des Zeitgeistes. Die Wirren der Reformation waren noch nicht ganz überstanden, denn noch tobte der dreißigjährige Krieg. Auch in Mils betätigten sich Wiedertäufer und „lutherische Schriften“ wurden von den bischöflichen Visitatoren des 16. und 17. Jahrhunderts immer wieder beanstandet.
Eine gewissen Bedeutung erlangte Mils durch den 1576 von Erzherzog Ferdinand II. errichteten Ansitz „Hirschenlust“ in Grünegg. Dieses heute nicht mehr vorhandene Jagdschloss verfügte auch über eine Mariä-Geburt-Kapelle. 1588 schenkte der Erzherzog den Ansitz seiner frommen Frau Anna Katharina von Gonzaga, die nach ihrem Eintritt in das von ihr gegründete Innsbrucker Regelhaus alle Einkünfte des Milser Ansitzes dem Regelhaus abtrat.
Anna Katharina hatte in ihrem Gefolge eine Türkin adeliger Abstammung, die zum Christentum bekehrt wurde. Sie wurde von unserem jetzigen Diözesanpatron, dem hl. Petrus Canisius getauft, Patin war die Erzherzogin selbst. Als diese Türkin 1597 in Grünegg verstarb, wurde über Geheiß der Landesfürstin ihr Leichnam in der Annakirche in Mils begraben. Daraus ist zu entnehmen, dass zwischen der landes-fürstlichen Familie, die ja immerhin auch das Patronatsrecht über die Milser Pfarrkirche Maria Himmelfahrt ausübte, eine nahe Beziehung zur Annakirche bestand. 1642 lebte noch die ebenfalls ins Regelhaus eingetretene Tochter der Landesfürstin Anna Katharina mit dem Name Maria Juliana (1584−1649). Landesfürst war damals Ferdinand Karl, der Sohn Leopolds V., ehemals Bischof von Passau, der um 1620 das berühmte Maria-Hilf-Bild des Malers Lukas Cranach d.Ä. nach Tirol gebracht hatte.
In den Jahren 1950/51 fand eine Restaurierung der Annakirche statt, wobei der aus dem 17. Jahrhundert stammenden Annenaltar abmontiert und gegen heftigen Widerstand der Bevölkerung in die Kirche nach Stanz bei Landeck verbracht wurde. Grund hiefür war, weil das Denkmalamt die für die Gotikausstellung in Innsbruck restaurierte Ölberggruppe einen besseren Aufstellungsplatz als am barocken Hochaltar in der Pfarrkirche suchte.
Am 8. November 1987 erhielt die Annakirche eine von der Firma Graßmayr gegossene „Armenseelenglocke“, die von Dekan Monsignore Bernhard Praxmarer geweiht wurde. Glockenpatin war Maria Gabl.
Die letzte Restaurierung der Annakirche wurde von einem eigens gebildeteten Annakirchen‑Renovierungs-Komitee in die Hand genommen und erfolgte in den Jahren 1989/90 durch den Restaurator Huberti aus Muntlix in Vorarlberg. Dabei wurde nicht nur die Bauinschrift sondern auch Reste einer Wandbemalung aus dem 16. Jahrhundert in den beiden Lunetten des letzten Joches freigelegt. Diese wurden aber als nicht erhaltenswert wieder übertüncht.
Über die Benützung der Annakirche als Aufbahrungsraum wurde am 30. Juni 1990 für die Dauer von 50 Jahren eine Vereinbarung zwischen Gemeinde Mils und Pfarre Mils abgeschlossen.
Bearbeitet von Dr. Othmar Krüpl
Siehe auch: