Josef Bodner: Integrieren durch Beratung

Teil­ha­be am Leben – Josef Bod­ner wid­me­te sein Berufs­le­ben die­sem Ziel. Neun Jah­re lang reis­te er als Bera­tungs­leh­rer durch das Land.

Eine Zeit­rei­se in die Ver­gan­gen­heit: Die neun­jäh­ri­ge Anna sitzt in ihrer Klas­se, ihr Blick wirkt ver­wirrt, und sie dreht ihren Kopf stän­dig in ver­schie­de­ne Rich­tun­gen. Wenn ande­re Kin­der den Anwei­sun­gen ihrer Leh­re­rin fol­gen, schaut Anna nur ver­wirrt. Mit der Zeit erkann­ten Leh­re­rin und Eltern, dass Anna ein intel­li­gen­tes Mäd­chen ist, das jedoch deut­lich schlech­ter hört als ihre Mit­schü­ler. Anna erhielt ein Hör­ge­rät. Aber waren damit alle Her­aus­for­de­run­gen gemeis­tert? Ähn­li­che Erfah­run­gen mach­ten vie­le Tiro­ler Kin­der zu Beginn der 1980er Jah­re. „Als die Hör­hil­fen bes­ser wur­den, blie­ben vie­le Kin­der in ihren Hei­mat­or­ten und besuch­ten dort die Schu­len“, erin­nert sich Josef Bod­ner. Nach­dem er 1970 in Hall matu­rier­te und bereits Kon­takt zur Schu­le in Mils hat­te, begann er 1972 nach sei­ner Aus­bil­dung zum Son­der­schul­leh­rer dort zu arbei­ten. In den ers­ten Jah­ren erleb­te er bedeu­ten­de Ver­än­de­run­gen. Das dama­li­ge Taub­stum­men­in­sti­tut beher­berg­te Kin­der aus ganz Tirol und Vorarlberg.

Mit Bera­tung zur Integration

Inte­gra­ti­on war das gro­ße The­ma“, sagt Bod­ner. Zuvor besuch­ten die Kin­der nicht nur die Son­der­schu­le in Mils, son­dern leb­ten auch im Inter­nat. „Zu Beginn tru­gen die Kin­der gro­ße Hör­ge­rä­te um den Hals“, erzählt Bod­ner. Als die Hör­hil­fen klei­ner wur­den und hin­ter dem Ohr getra­gen wer­den konn­ten, kam das The­ma Inte­gra­ti­on auf. Die Kin­der soll­ten die Regel­schu­len in ihrem Hei­mat­ort besu­chen. „Aber konn­ten wir damit wirk­lich den Bedürf­nis­sen der Kin­der gerecht wer­den?“, frag­te sich Bod­ner. Der enga­gier­te Leh­rer sah, wie Kin­der, Lehr­kräf­te und Eltern immer wie­der an Her­aus­for­de­run­gen schei­ter­ten. „Wir müs­sen han­deln – je frü­her im Leben des Kin­des, des­to bes­ser“, war Bod­ners Überzeugung.
Wenn Josef Bod­ner von sei­nem Weg zum Betreu­ungs­leh­rer spricht, begin­nen sei­ne Augen zu leuch­ten. Er muss auch lächeln, wenn er vom anfäng­li­chen Wider­stand berich­tet. „Brau­chen wir das?“, war die häu­fig gestell­te Fra­ge. Bod­ners Ziel war es, Eltern und Lehr­kräf­te zu bera­ten und alle Betei­lig­ten zu betreu­en. „Ein Leh­rer soll nicht bera­ten, son­dern unter­rich­ten“, lau­te­te ein Ein­wand. „Ich bin schon ein biss­chen stolz, dass ich hart­nä­ckig geblie­ben bin“, sagt der ehe­ma­li­ge Direk­tor der Son­der­schu­le mit einem Lächeln. Im Jahr 1984 hat­te er alle Hin­der­nis­se über­wun­den und konn­te begin­nen, sein Kon­zept in die Tat umzu­set­zen. „Ich habe eng mit der Kli­nik für Hör‑, Stimm- und Sprach­stö­run­gen zusam­men­ge­ar­bei­tet, denn zuerst muss­ten alle Kin­der erfasst wer­den.“ Danach begann Bod­ners Rei­se durch das Land. Er besuch­te Schu­len, beriet Lehr­kräf­te und Eltern, und nahm an Kon­fe­ren­zen sowie Eltern­aben­den teil, erstell­te Info­ma­te­ri­al und war bald nicht nur Ansprechperson
In Tirol wur­de ich auch ein­ge­la­den, das Tiro­ler Modell auf euro­päi­schen Kon­fe­ren­zen und Tagun­gen zu prä­sen­tie­ren“, erin­nert sich Bod­ner mit Freu­de. Denn die­ses Modell des Betreu­ungs­leh­rers gab es nur in Tirol. Für Bod­ner war vor allem wich­tig: „Mein Ziel war nie, the­ra­peu­tisch tätig zu sein, son­dern stets bera­tend für alle Betei­lig­ten.“ Neun Jah­re lang bereis­te Bod­ner die Schulen.
Heu­te, vier­zig Jah­re nach­dem Bod­ner das Kon­zept ein­ge­führt hat, sind drei Voll­zeit-Betreu­ungs­lehr­kräf­te in Tirol tätig. Der­zeit wer­den 140 Kin­der betreut.
Dass der Wahl-Mil­ser vie­le Jah­re die Volks­hoch­schu­le in Mils lei­te­te, spä­ter die Com­pu­te­ria grün­de­te und noch heu­te im Kir­chen­chor aktiv ist, mag erstau­nen. Aber viel­leicht hat Josefs Tag tat­säch­lich mehr als 24 Stun­den. Eini­ge davon wid­met er jetzt mit Hin­ga­be sei­nen zwei Enkelkindern.

Von der Anstalt zum Zentrum

Die Bil­dung für gehör­lo­se und schwer­hö­ri­ge Kin­der blickt auf eine fast 200-jäh­ri­ge Geschich­te zurück.
1830 wur­de die ers­te Schu­le in Bri­xen gegrün­det, die 1835 nach Hall übersiedelte.

Im Jahr 1879 begann die Geschich­te der Ein­rich­tung in Mils als Taub­stum­men­an­stalt, auch bekannt als Taub­stum­men­in­sti­tut. Heu­te ist sie als Bil­dungs­zen­trum für Hören und Sehen bekannt.
Vor 40 Jah­ren begann Josef Bod­ner als Bera­tungs- und Betreu­ungs­leh­rer, Lehr­kräf­te, Schüler:innen und deren Eltern vor Ort zu unter­stüt­zen. Anfangs allei­ne tätig, sind heu­te drei Voll­zeit­kräf­te in ganz Tirol im Einsatz.
Josef Bod­ner war 40 Jah­re lang Leh­rer, neun Jah­re Bera­tungs- und Betreu­ungs­leh­rer und elf Jah­re (1998–2009) Direk­tor des Zen­trums für Hör- und Sprachpädagogik.

Zur Geschich­te der Hör­hil­fen: 1898 wur­den die ers­ten elek­tro­ni­schen Hör­hil­fen erfun­den, basie­rend auf einem trans­por­ta­blen Koh­le­mi­kro­fon, das auf dem Tele­fon­prin­zip beruh­te. Die­se waren gro­ße Gerä­te, die am Kör­per getra­gen wur­den. Die Erfin­dung von Tran­sis­to­ren in den 1950er-Jah­ren führ­te zur Ent­wick­lung klei­ne­rer und effi­zi­en­te­rer Hörgeräte.
1982 wur­den digi­ta­le Signal­pro­zes­sor-Chips vor­ge­stellt, und Mit­te der 1990er-Jah­re ent­stan­den die ers­ten voll­stän­dig digi­ta­len Hin­ter-dem-Ohr- und Im-Ohr-Hör­ge­rä­te. Die moder­ne Hör­ge­rä­te­tech­no­lo­gie hat sich so weit ent­wi­ckelt, dass die klei­nen digi­ta­len Gerä­te im Ohr fast unsicht­bar sind.
In den 1970er-Jah­ren wur­den die ers­ten Hör­im­plan­ta­te ent­wi­ckelt und anfäng­lich gehör­lo­sen Erwach­se­nen und spä­ter auch gehör­lo­sen Schul­kin­dern ein­ge­setzt. Heu­te kön­nen Kin­der mit star­kem Hör­ver­lust oder Gehör­lo­sig­keit bereits in den ers­ten Lebens­jah­ren mit einem Implan­tat ver­sorgt wer­den, was eine annä­hernd nor­ma­le Sprach­ent­wick­lung ermöglicht.

Link: Geschich­te des Taubstummeninstituts

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